Ein bisschen ahnungslos geht immer?

Anlässlich der Gamescom landen Spiele ja häufiger als sonst in Mainstream-Medien: Oft als Wirtschaftsnachricht (mehr! Umsatz! als! Filme!) in den Nachrichten oder als Trend-Bericht in einem Morgenmagazin. Und immer öfter tauchen Spiele auch in den Feuilletons auf. Oder, völlig schockierend, als Außenseiter-Bericht in der (Schnappatmung!) EMMA. Das wird dann sehr häufig begleitet von aufgeregten Twitter– oder Facebook-Kommentaren. Natürlich finden sich gerade in etwas, was sich Außenseiter-Blick nennt, viele fragwürdige Einschätzungen, und ja, Vorurteile. Auch mich lässt das im ersten Moment die Augen rollen. Im zweiten Moment nehme ich dann die Plastiktüte zum reinatmen vom Mund und bin ich bereit, nicht zu hyperventilieren: Es darf auch Einschätzungen geben darf, die ich nicht teile.

Sicher kann man solche Berichte origineller machen, beispielsweise wie Conan O’Brien mit seinem „Clueless Gamer„:

Natürlich ist Herr O’Brien nur halb so ahnungslos, wie er tut. Aber er ist offensichtlich clever genug, gar nicht erst auf seriöses Gaming-Review zu machen. Wäre ja auch in seinem Talk-Format rein inhaltlich fehl am Platz. Aber er setzt sich  mit jemanden hin, der passionierter Spieler ist und kommentiert bissig und treffsicher komisch, was er sieht und hört. Natürlich wissen wir Spieler, dass viele Fantasy-Plots nur so semi-originell sind. Das manche Story eher eindimensional ist. Wir sehen darüber hinweg, wenn das eigentliche Spielprinzip funktioniert und lachen über unsinnige Videosequenzen oder schlechte Dialogzeilen. Manche fallen uns aber vielleicht gar nicht mehr auf. Da hinein bohrt Conan zielsicher und lässt uns glatt vergessen, dass er KEINER VON UNS ist.

Das kriegen andere Medien weniger gut hin, siehe EMMA. Ja, da hat eine Autorin versucht, ihren Außenseiter-Zugang zum Thema originell aufzubereiten und das war leider nüscht nicht so wahnsinnig gelungen. Ich habe das schon so oft gesagt, aber ich wiederhole es gerne: Man muss auch das aushalten können. Man darf sich natürlich aufregen, dagegen sprechen, eine sehr viel bessere Idee vorschlagen, etc pp. Nur sehr oft denke ich mir, es könnte auch mit etwas weniger Puls geschehen. Spieler werden schließlich auch immer älter in dieser Gesellschaft und eines Tages kriegt noch mal einer einen Herzkasper. Ich fand beim zweiten Lesen den Außenseiter-Blick von Alexandra Eul nicht völlig verkehrt, auch wenn sie offenbar wenig Genre-Kenntnis hat. Wenn man mich als Reporter nach Bayreuth zu einer Wagner-Aufführung schicken würde, könnte ich auch nur einen Außenseiter-Blick drauf werfen. Hoffentlich würde es mir gelingen, das gut zu machen. Witzig, bissig, originell. Würde diesem borniertem Champagner-Verein konservativen Theaterbetrieb vielleicht ganz gut tun?

Wie wärs mit: „Ein Nerd bei Wagner“?

Die etablierten Theater-Journalisten würden vermutlich einen mittleren Fön bekommen und fragen, warum zur Hölle ich mich nicht einfach einlesen würde oder man nicht jemand hinschickt, der sich auskennt. Und meine Antwort wäre: Weil ihr alle völlig humorlos in eurer Filterbubble unterwegs seid und es euch nicht schadet, wenn ihr mal über den Tellerand hinausschaut. Und ja, dabei passieren dann Fehler und man missversteht etwas, was ein Kenner der Szene ausräumen könnte. Natürlich könnte man einfach einen Experten zum Thema drüberschauen lassen, der sowas korrigiert. Aber abgesehen von den üblichen redaktionellen Abnahmeritualen (die es in allen Medien gibt), blieben dann sicher von Bissigkeit und Blick von Außen deutlich weniger übrig. Ja, in einer idealen Welt ist das ein perfektes Ding: Inhaltlich korrekt, witzig, distanziert, objektiv, fair, belesen. Merkta selbst, oda? Schwierig. Es wird nie perfekt sein, aber man kann sich soweit es irgend geht, annähern. Gerade hier, in meinem privaten Blog, genieße ich es, dass ich blitzschnell etwas runtertippen kann, was mir auf der Seele liegt – frei von redaktionellen Abnahmen und ohne, dass jemand einen 2. Blick auf einen Text wirft. Diese Texte sind also oft nicht frei von Missverständnissen oder Irrtümern oder auch fehlerhafter Einschätzung. Oder Tippfehlern. Bei meinen Fernsehbeträgen ist der zweite, idealerweise distanziertere Blick, dann natürlich gegeben. Da gucken sich Text & Bild meist ein oder zwei Leute an und geben Feedback oder fordern Änderungen, weil inhaltlich aus ihrer Sicht etwas nicht korrekt ist. Da wird oft erbittert diskutiert und gerungen, jeder Redakteur/Autor hält dann gerne (sehr. lange) Reden über sein Thema, gefolgt von (genauso. langen) Gegenargumenten. Das ist kein perfektes System, denn Menschen sind Menschen. Punkt. Aber besonnen reagieren, konstruktiv diskutieren, generell Empathie, das ist ja alles zur Zeit nicht so angesagt.

„Sie haben dafür gar keinen Sinn, das hat alles keinen Zweck!“

Auf der anderen Seite hat es schon immer erbitterte Debatten über Kulturerzeugnisse gegeben. Bücher beispielsweise. Und das nachträglich anzusehen ist recht erhellend. Und aus heutiger Sicht sehr, sehr lustig:

Die älteren Leser werden sich womöglich erinnern: Das ist das berühmt gewordenen Streitgespräch (aus dem Jahr 2000) zwischen den Literaturkritikern Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler. Die Debatte schlug damals hohe Wellen, nur gab es weder Reddit, noch Facebook oder Twitter, wo gleich die ganze Welt mitstreiten konnte. Die beiden streiten sogar über das gleiche Thema, wie jüngst bei den Videospielen, nämlich Sexismus. Es ging damals darum , ob eine Romanfigur eine sexistische Männerfantasie (Sigrid Löffler) oder eine poetische Hommage (Marcel Reich-Ranicki) ist. Heute trifft es meist Anita Sarkeesian, deren oft reichlich überspitzte Thesen man auch nicht zur Gänze teilen muss. Die FAZ schrieb dazu kürzlich:

Und natürlich lässt sich auch die Frage stellen, wie viel politische Korrektheit Unterhaltung und Kunst vertragen. Aber die Spielerszene könnte viel gelassener bleiben. Eine akademisch fundierte Kritik schadet ihrer Sache nicht.

Und das ist der Punkt: Niemand nimmt irgendwem etwas weg. Es entsteht keinem ein Schaden. Es sei denn, ihr habt ein schwaches Herz, aber das hatten wir ja schon. Streiten ist okay, solange niemand deswegen aus seinem Haus fliehen muss (auch das hatten wir schon). Wie man an dieser aus heutiger Sicht etwas skurrilen Debatte um Romanfiguren sieht, wurde also schon immer gerne erbittert gestritten. Das ist heute nicht anders und nicht neu. Das Netz wirkt aber wie ein Multiplikator. Es potenziert emotionale Reaktionen ins Unendliche. FAZ-Autor Morten Freidel sagt noch etwas sehr Wichtiges:

Zwischen der kulturellen Bedeutung von Videospielen und ihrer öffentlichen Repräsentation herrscht ein enormes Missverhältnis. Der Abstand zwischen der Qualität von Computerspielen und dem Niveau ihrer Diskussion könnte kaum größer sein.

Inzwischen ist die Aufregung um Onlinerollenspielsucht und Videospiel-induzierte Amokläufe ja so gut wie verstummt. Videospielen fehlt zwar aus meiner Sicht noch immer eine gewisse Öffentlichkeit abseits von Reviews & Previews mit Prozentwertungen, aber im Grunde ist das Thema keines mehr, was nur für Aufreger gut ist. Stattdessen tauchen Spiele eben immer mal wieder in ungewohntem Zusammenhang auf. Beispielsweise als Thema in der Germanistik. Goethes Faust ist so langsam aber sicher solide erforscht. Der Autor schreibt ja nun auch nichts neues mehr. Also müssen neue Themen für Forschung und Lehre her. Und, hoppla, da tauchen auch Videospiele auf. Es gab eine schöne BR-Zündfunk-Sendung dazu.

Weil sich mehr Menschen literarisch, journalistisch, akademisch oder sonstwie mit Spielen beschäftigen, tauchen auch neue und andere Zusammenhänge und neue Thesen auf. Und das geht nicht immer glatt. Dazu nochmal Morten Freidel in seinem FAZ-Artikel:

Weil es noch keine einheitliche Theorie für Computerspiele gibt, behelfen sich Spielekritiker mit Grundlagen aus der Literatur-, Theater- und Filmkritik. Computerspieler sehen sich nun plötzlich mit fachfremden Gedanken konfrontiert. Eine akademische Kritikermentalität hält Einzug in einen Bereich, dessen Deutungshoheit vormals allein ihnen gebührte. Ihr Expertenstatus wird in Frage gestellt. Dabei wissen sie, die Spieler, doch viel besser, wie so ein Spiel funktioniert. Sie kennen alle Konsolenknöpfe, jeden Geheimgang, haben jedes Level mehrfach durchgespielt. Sie brauchen niemanden, der ihnen etwas von problematischen Frauenbildern erzählt.

Auch das habe ich schon mal erwähnt: Es ist legitim, einen Spiele-Test zu bevorzugen, der sich ganz modular an Grafik, Sound, Multiplayer und Spielmechanik abarbeitet und am Ende eine Prozent- oder Skala-Wertung dafür vergibt. Aber warum soll es nicht noch mehr und andere Beschäftigungen mit dem Thema geben? Das schöne ist ja: Wir können uns dann raussuchen, was uns am besten gefällt. Umso eher findet sich jemand, der GENAU MEINE MEINUNG zum Ausdruck bringt.

Gelassenheit: YOU MAD?!
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2 Kommentare zu „Gelassenheit: YOU MAD?!

  • August 31, 2015 um 9:19 am Uhr
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    Clueless Gamer ist meiner Meinung nach ein Paradebeispiel, wie man es richtig machen kann. Von Prozenten und Wertungen bin ich schon länger abgekommen. Es ist einfach fast nicht möglich, ganz objektiv ein Spiel auf einer Skala von 1 bis 100 im Gesamtpaket zu bewerten. Das geht vielleicht bei technischen Werten wie Grafik und verwendeter Engine, FPS und dergleichen. In Summe zählt für mich aber der Spielspaß. Deshalb sehe ich mir sowieso vor jedem neuen Spiel diverse Let’s Plays und Walkthroughs auf YouTube an.

    Schöner Artikel und gut auf den Punkt gebracht!

    Liebe Grüße,
    Daniel

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    • August 31, 2015 um 10:13 am Uhr
      Permalink

      Guter Punkt @ Der Schilling: Let’s Plays sind auf dem besten Weg, den Reviews den Rang abzulaufen – wenn sie das nicht schon getan haben. Man kann sicher auch irgendeine Skala benutzen, die wird ja meist in den Mags, die sie verwenden, transparent erklärt. Es hat dann aber manchmal so ein bisschen was von: Seht her, die Wertung ist glasklar belegt; da brauchen wir gar nicht drüber diskutieren! Ist vielleicht auch Geschmackssache: Ich lese lieber einen Fließtext, der mir eine Sichtweise auf ein Spiel näher bringt. Wenn der Text gut, unterhaltsam, witzig, pointiert oder sonst wie ansprechend geschrieben ist, darf er gerne subjektiv sein. Solange Autoren gut erklären, warum sie etwas wie sehen. Fairness ist da wichtiger noch, als pure Objektivität. Das ist eh fast unmöglich und liegt auch immer im Auge des Betrachters.

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