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Alle sind aus dem Häuschen: Apple startet ab Ende Juni 2015 einen eigenen Musikstreamingdienst. Weil ich das ohnehin schon eine Weile vorhatte und aus aktuellem Anlass schreibe ich ihn jetzt. Den Blog-Post zum Thema Musik & Streaming und was mich daran nervt.

Als mein altes Autoradio kaputt ging, hatte es folgende Macke: Es spielte CDs zwar noch ab, aber die Steuerungstasten am Radio waren hinüber. Das führte dazu, dass ich Alben so hören musste, wie der Künstler es vorgesehen hatte. Eigentlich nervig, denn ich hatte natürlich auf jedem Album Titel, die ich lieber gehört habe, als andere. Aber irgendwie bekam ich so ein anderes Gefühl für die Musik. Die Zeit ist lange vorbei. Inzwischen hängt am neuen Radio das iPhone via Bluetooth. Die Musik darauf gehört mir: ich habe sie gekauft. Ganze Alben und ihr Aufbau interessieren heute vermutlich nur noch Musik-Journalisten. Und die Künstler. Konsumenten haben Playlisten bei Streaming-Diensten. Jedenfalls sehr viele Konsumenten. Streaming zählt zu den am schnellsten wachsenden digitalen Geschäften, auch wenn die Deutschen da noch etwas zurückhaltender sind:

Infografik: In Deutschland haben Downloads (noch) die Nase vorn | Statista
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Eigentlich hatte ich lang Zeit keine Lust, mir ein Streaming-Abo in Sachen Musik zuzulegen. Ich mag Abos nicht, weil ich sie gerne vergesse und mich am Ende des Jahres wundere, wohin eigentlich mein Geld verschwand. Umgekehrt vergessen die Dienst-Anbieter ja leider nie die regelmäßige Abbuchung. Im Grunde ist das bei mir eine Milchmädchenrechnung, denn ich kaufe soviel Musik, dass es günstiger wäre, 10 Euro im Monat zu zahlen. Am Ende gebe ich nämlich ganz sicher mehr Geld aus, als 120 Euro im Jahr.

An der Abo-Kette
Egal ob bei Deezer, Spotify oder wie sie auch heißen: Der kostenlose Account der Anbieter ist vielleicht ganz nett, um sich mal via Browser 2-3 Songs tagsüber im Büro anzuhören. Aber im Grunde hört doch fast jeder von uns Musik vor allem: Mobil. Unterwegs. Und das gibts nie kostenlos und wenn doch, dann nie ohne Nerv-Faktor: Werbung oder nur 30-Sekunden-Schnipsel. Gerade letzteres ist natürlich völlig absurd. Da kann ich ja gleich iTunes auf dem Handy benutzen: Die iTunes-App liefert oft 1:30-Ausschnitte, seit das zulässigt ist. Der ursprünglich in Frankreich beheimatete Dienst namens Deezer hat mich dann doch zeitweilig als Abo-Kunden gewonnen. Und zwar, weil sie immer mal hübsch-niedrige Einstiegsangebote machten. Zum Beispiel eine ganze Weile kostenlos oder 3 Monate für die Hälfte oder ähnliches. Da man monatlich kündigen kann, habe ich das dann jeweils getan und einfach aufs nächste Angebot gewartet. Auf Dauer ging das in dieser Form nicht gut, zwischen Deezer und mir. Irgendwann kamen nämlich keine super-günstigen Angebote mehr.

Dabei gefällt mir durchaus einiges an Deezer. Die aufgeräumte Oberfläche, die Bedienung, die App. Oder der Flow-Modus: Songs aus meinen Playlisten gemixt mit Deezer-Vorschlägen, die auf meinen Listen aufbauen. Das funktioniert gut und ich finde immer wieder neue interessante Künstler. Das Problem: Ohne Abo wars das mit meinen sorgfältig gepflegten Playlisten für unterwegs. Die Musik gehört mir nicht. Ich kann damit nicht machen, was ich will. Das ist in Ordnung – bei diesen letztlich günstigen Preis von 10 Euro im Monat. Aber dann kaufe ich lieber die Songs oder Alben und kann sie hören, so oft und so lange ich will. Und ich könnte sie sogar auf CD brennen. Das mache ich schon seit Jahren kaum mehr, aber es geht ums Prinzip. „Wer macht denn sowas noch!„, kommentierte das der deutsche Spotify-Geschäftsführer Stefan Zilch, als wir mit ihm für eine Folge der Netzkultur-Serie sprachen. Wie gesagt: Selbst ich nur noch sehr, sehr selten, aber ich möchte es können. Mit einem Streaming-Dienst abonniere ich im Grunde Radio on Demand. Die Musik ist bestenfalls so was wie ausgegeliehen.
Bei Spotify habe ich bislang nur einen kostenlosen Account, den ich wenig nutze. Ich habe die App auf der PS4, aber auch nur, weil ich das mal ausprobieren wollte.

Am Ende der Nahrungskette
Der Spotify Deutschland-GF Stefan Zilch konstatierte in unserem Interview weiter, das die Labels doch gut verdienten, 70% eines Abos flössen direkt zurück an die Plattenindustrie. Ich habe keinen Grund, an seiner Aussage zu zweifeln, aber: Die Künstler befinden sich bei dieser Rechnung ganz am Ende der Nahrungskette. Und DAS finde ich richtig nervig. Nicht nur (aber auch), weil ich viele Musiker im Freundeskreis habe. Die singen halt – wenig überraschend – kein Hohelied vom tollen, kreativen Netz und vom Recht auf Remix. 2013 erneuerte Radiohead-Sänger Thom York via Twitter seine Kritik an Spotify: „Make no mistake new artists you discover on #Spotify will no get paid. meanwhile shareholders will shortly being rolling in it. Simples.
Hartnäckige Streaming-Verweigerer unter den Künstlern oder prominente Abgänge kommentierte Zilch ein bisschen achselzuckend mit: „Wenige Künstler nutzen es nicht oder gehen mit viel PR-Getöse.“ Die meisten würden ja doch zurückkommen – es sei halt einfach ein neues Businessmodell. Tatsächlich sagen Abgänge wie der von Taylor Swift vor allem aus, dass das alte Geschäftsmodell im Grunde noch ganz gut funktioniert. Zumindest für sie. Auch wenn Swift von Fairness gegenüber Künstlern sprach, offenbarte der Chef ihres Labels eher andere Motive. Bloomberg zitierte ihn mit:

“We’re not against anybody, but we’re not responsible for new business models,” Borchetta says. “If they work, fantastic, but it can’t be at the detriment of our own business. That’s what Spotify is.”

Kurz und knapp übersetzt ist seine Aussage: Das Geschäftsmodell von Spotify ist zu unserem Nachteil. Taylor Swifts letztes Album verkaufte sich 1.28 Millionen Mal in der ersten Woche nach Erscheinen. Swifts Geschäftsmodell als Künstlerin mit klassischem Label-Deal funktioniert also tippitoppi. Für andere Künstler sieht die Sache aber unter Umständen völlig anders aus. Es ist auch ein Unterschied, ob ein Künstler überhaupt einen Label-Deal hat. Mit Deal verdient er unter Umständen deutlich weniger. Andererseits brauchen Künstler eine extrem hohe Zahl an Abrufen, um auf ein vergleichsweise schmales Einkommen zu kommen. Eine aktuelle, visuell gut aufbereitete Übersicht über die Streaming-Verdienste findet sich hier.

„Das tut uns leid.“
Ich will Spotify (und die anderen) nicht schlechter machen, als sie sind. Erstens: Sie bieten schließlich lizenzierte Musik an. Zweitens: Sie waren in der Lage, sich mit der GEMA und allen anderen Verhandlunsgpartnern zu einigen.
Auch wenn uns eine Sprecherin der Gema im Vorgespräch zu unserem Interview sinngemäß sagte, dem Spotify-Deal mit einem gewissen Zähneknirschen zugestimmt zu haben. Und weiter: Wir könnten uns ja sicher vorstellen, wie das Angebot von YouTube aussähe, wenn man einen Deal eingehe, der eigentlich nicht wahnsinnig gut sei. Mit anderen Worten: Niedrigst. Zahlen nannte man uns nicht – es laufen ja noch Verhandlungen mit YouTube bzw. Google, den Eigentümern seit 2009. Genausolange, nämlich seit 2009, gibt es keine Einigung über einen neuen Vertrag zwischen YouTube und der GEMA. YouTube kämpft dabei mit allen Mitteln. Auch mit unlauteren, wie ein letztinstanzliches Urteil belegt. Der Text der Sperrtafeln, die YouTube zeitweise einsetzte, ist nach Auffassung des OLG München „unlauter und wettbewerbswidrig“. Der beanstandete Hinweis lautete: „Dieses Video ist in Deutschland leider nicht verfügbar, da es möglicherweise Musik enthält, für die die erforderlichen Musikrechte von der GEMA nicht eingeräumt wurden. Das tut uns leid“. Diese Taktik hat lange gut funktioniert: wer die YouTube-Mutter Google als Suchmaschine nutzt, findet noch immer viele wütende GEMA-Beschimpfungen. Ich höre durchaus Stimmen unter den Musikern in meinem Dunstkreis, die finden, die GEMA sei bisweilen „ein analoger Schnarchverein mit mittelmäßig geschickter Öffentlichkeitsarbeit“. Egal um welches Streitthema es geht: Es ist halt selten so, dass die einen die GUTEN und die anderen die BÖSEN sind. Die GEMA mag auch nicht alles richtig machen und es mag berechtigte Kritik am System geben, aber das der Verein sich um faire Vergütungsmodelle bemüht, sprechen ihm die wenigsten Musiker ab.

Alle streamen, nur ich nicht. Oder doch?
Nach der Ankündigung des Apple-Streaming Dienstes bin ich durchaus versucht, mir das mal anzusehen. Zumal es eine Familienlizenz geben soll, die dann noch mal deutlich günstiger sein wird. Rund 15 Euro für bis zu 6 Personen. Ja, natürlich spielten die Kosten für mich eine Rolle. Es wäre gelogen, etwas anderes zu behaupten. Und es ist halt auch noch bequem, wenn man sich vollumfänglich in die Fänge Hände von Apple begibt: Hardware und Dienste aus einer Hand, das funktioniert einfach gut. Ob das Modell am Ende für Künstler fairer sein wird: Man weiß es nicht.
Es ist schon viel orakelt worden über die Zukunft von Musik. Fest steht, das wir an einem Wendepunkt sind, aber die Kurve ist lang und steil. Zu prognostizieren, wo wir rauskommen und mit wievielen Schrammen, ist extrem schwierig. Zur Zeit finde ich für mich Musik-Streaming (noch) nicht völlig akzeptabel. Neben dem latent nervigen Abo-Modell ist es offenbar unfair gegenüber denjenigen, die Musik machen. Und ohne Musik ist alles nichts.

Ohne Musik ist alles nichts.
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2 Kommentare zu „Ohne Musik ist alles nichts.

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