Den Titel dieses Blog-Posts habe ich dem leicht entnervten BBC-Moderator und Filmkritiker Mark Kermode von den Lippen abgeschrieben. Gesagt hat er das über die Wahrnehmung von Videospielen. Das ganze war eine Replik auf eine Zuschauermail, bei dem ein Hörer verwundert anmerkte, das Kermode den Film „I, Frankenstein“ mit „Assasin’s Creed“ verglichen hatte. Und das, obwohl dieser doch gesagt habe, mit Spielen nicht viel am Hut zu haben. Eine kleine Episode am Rande des recht populären Film-Podcasts auf BBC 5 – den ich im Übrigen sehr empfehlen kann. Warum ich sie erzähle? Weil:

Weil diese Episode zweierlei zeigt. Zweierlei Dinge, über die ich immer wieder verwundert und irritiert bin. Zum einen, dass Spiele hierzulande öffentlich so vollkommen ignoriert werden. Und damit möchte ich keineswegs in den üblichen vielstimmigen Foren-Chor einfallen, dass man doch bitte schön mein Lieblingshobby endlich mal wertschätzen und hätscheln sollte. Nein, es geht mir eher um eine die praktisch nicht vorhandene Wahrnehmung von Spielen durch Nicht-Spieler.
Und zum anderen geht es mir darum, wie merkwürdig wiederum Spieler selbst definieren, wer wann und wie über Spiele reden darf.

In einer Welt voller Spiele
Und damit noch mal zurück zu Mark Kermode. Konkret ging es um sein Review des Films „I, Frankenstein“. Kermode hatte gesagt, einige Mitglieder des Schauspieler- Ensembles glichen Statisten aus Assasin’s Creed. In seiner Antwort auf die Hörer-Mail wiederholte er, dass er nicht spiele, aber das bedeute nicht, dass er nichts darüber wisse. Und holte weiter aus: „Das gleich ist passiert, als ich über den Hobbit-Film sprach und dass das Treppenhaus wegen der geraden Linien aussehe, als sei es mit Minecraft-Tools gemacht. Oder als ich auf etwas anderes hinwies, dass aussieht wie eine Szene aus Skyrim! Und einige Leute fragten, woher ich das wissen könne wenn ich nicht spiele?!“
An dieser Stelle holte Kermode, Jahrgang 1963, noch mal tief Luft: „Nur weil ich nicht spiele, bedeutet das nicht, dass ich in einem totalen Vakuum lebe. Ich lebe in einer Welt, in der Menschen Videospiele spielen, und ich sah genug Leute spielen, um Himmels willen, mehr als genug! Ich spiele nur einfach nicht selbst, und, zum zigtausendsten Mal: Ich habe nichts gegen Spiele! Ich denke, Spiele sind eine florierende und lebendige Kunstform.“ Um ein bisschen kokett anzuhängen: „Nicht für mich, weil ich zu alt bin!“

Der Korrektheit halber hier Kermodes Statement im englischen Original:

I don’t play video games but that doesn’t mean I don’t no anything about them. The same thing was happening when I was talking about ‚The Hobbit‘, and I said the stairwell looked like it been made from Minecraft tools because it’s all straight lines. Or I referred to something else as to be looking like a scene taken from Skyrim… And a few people were like, how can you know if you don’t play video games?! Just because I don’t play video games that doesn’t mean I live in a total vacuum! I live in a world in which people play video games and I’ve watched people play video games -heaven’s sake, I’ve watched enough of that! 
So I just don’t play them myself and, for the umpty-umpth time: I have nothing against video games. I think video games are probably a thriving and vibrant art form. Not for me because I am too old!“

Das ist ein Standpunkt, wie ich ihn reflektierter selten gehört habe.

Kulturkritik ohne passendes Besteck
Und dabei sind wir bei den eingangs erwähnten zwei Dingen. Im Fernsehen (und da nehmen sich private und öffentlich-rechtliche Sender nicht viel), kommen Spiele als Kulturerzeugnis quasi nicht vor. Nimmt man mal Reload in Einsplus aus, aber das ist für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr nach dem Vorbild Gameone gestrickt. Ich mag beide Formate für bestimmte Dinge, aber es ist eben Spiele-Berichterstattung für Hardcore-Fans, weniger Behandlung eines Kulturerzeugnisses, wenn ich das mal etwas sperrig ausdrücken darf. Eben ein bisschen so, wie der Fokus der Kulturzeit in 3sat eher auf anspruchsvolle Kenner von Theater-Spielplänen zielt. In diesem Sinne ist die Kulturzeit genauso „hardcore“ wie Gameone oder Reload.

Kulturmagazine wie Aspekte sind sicher etwas jünger, gerade erst hat man hier ein neues Konzept für die Sendung vorgestellt. Da finden Themen auf die Agenda wie die Band Maximo Park oder Lars von Trier-Filme. Mithin eine Range von Pop- bis Hochkultur. Spiele-Kritiken würden sich hier theoretisch ohne weiteres einfügen können. Allerdings kann ich mir lebhaft ausmalen, was passiert, wenn die Aspekte-Redaktion das versuchen würde. Wagt man es als Mainstream-Medium wie Zeitung oder Fernsehen, über Spiele zu sprechen, kann man sich sicher sein, dass einem wechselweise Ahnungslosigkeit, Oberflächlichkeit oder Dummheit vorgeworfen wird. Siehe den Spiegelartikel mit dem (zugegebenermaßen recht einfältigen) Titel „Spielen macht klug“. Selbstverständlich gibt es sie, die ahnungslosen, oberflächlichen oder dummen Berichte und sie ärgern mich. Man muss sie aber aushalten können. Und der Spiegel-Bericht zählt nicht zu den ärgerlichen, auch wenn es da abweichende Meinungen gibt. Beispielsweise vom Kulturwissenschaftler Christian Huberts, der das Ganze „Alte Vorurteile in neuer Verpackung“ nannte. Für den BR-Kollegen Christian Schiffer war es der „Fail der Woche„. „Warum dürfen Games nicht einfach nur unterhaltsam sein?“, fragte er sich. Das frage ich mich tatsächlich auch, allerdings sehe ich den Spiegel-Artikel pragmatischer: Er hat zumindest Diskussionen und Interesse bei anderen Medien geweckt und das ist gut so.

Es gibt immer wieder positive Beispiele, wo es einem Medium gelingt, einen ganz eigenen Zugang zum Thema zu finden.
Dem Feuilleton der FAZ zum Beispiel. Das hat schon mehrfach Besprechungen von Egoshootern gebracht. 2012 über Call of Duty: Black Ops 2. Der Autor Gregor Quack schrieb nicht einfach eine Spiel-Beschreibung mit den wichtigsten Features, sondern beschäftigte sich mit der aus seiner Sicht gefühlten Schwierigkeit, über einen derart bombastisch inszenierten Ego-Shooter zu urteilen. Es fehle schlicht das passende ästhetische Besteck, Das müsse die Kulturkritik erst mal schmieden. Leider findet sich dieser Artikel nicht online, hier immerhin eine ganz kurze Zusammenfassung.

Sicher, Beiträge in Fernsehen oder Radio über Spiele sind oft für Spieler und Spiele-Interessierte anstrengend bis unerheblich. Entweder ist das eine reine Wirtschaftsnews wie zur E3 (ja ja, Spiele machen mehr Umsatz als Filme) oder sie beginnen mit „bislang dachte man, Spiele machten süchtig, blöd und/oder gewalttätig. Doch es geht auch anders…“. Diese Anmoderation ist frei erfunden, doch etwa in diesem Sinne habe ich sie (und ihr vermutlich auch) schon sehr, sehr, sehr oft gehört. Und auch ich möchte dann aufheulen: Nein, ICH habe das nie gedacht, weil ich weder blöd, süchtig noch gewalttätig bin. Nur IHR denkt das und wiederholt es bis zum Erbrechen. Solche Anmoderationstexte vermiesen einem dann auch einen an sich vollkommen solide gemachten hr-Beitrag über den Kasseler Spielsalon.

Wir müssen aber eben auch als Spieler mal aushalten können, wenn ein TV-Magazin, ein Print-Feuilleton oder wer auch immer sich einen eigenen Zugang zum Kulturerzeugnis wählt. Ja, ich würde mir da auch mehr Gelungenes wünschen. Der erwähnte FAZ-Autor Gregor Quack beispielsweise hat ganz offensichtlich schon mal einen Controller in der Hand gehabt. Dabei schafft er es dennoch, einen anderen Zugang zu einem Egoshooter zu finden, als über Framerates zu philosophieren. BBC-Moderator Mark Kermode dagegen zeigt, dass man eben auch kein Hardcore-Zocker sein muss, um Spiele ganz selbstverständlich wahrzunehmen. Spieler haben kein Privileg darauf, als einzige über dieses Medium reden zu dürfen. Es gibt auch keine Zugangsvoraussetzungen in Sachen Können, das tun zu dürfen. Auch diesen Eindruck kann man gelegentlich bekommen.

Ich würde gerne sehen, wie Aspekte im ZDF oder die Kulturzeit in 3sat ihr eigenes ästhetisches Besteck der Kulturkritik entwickeln. Das können Spiele gebrauchen. Sonst stehen wir auf ewig mit Feature-Beschreibungen ohne jede Referenz, ohne geschichtliche oder sonstige Einordnung da. Denn die etablierten Fachmagazine liefern wenig mehr als eben das. Ausnahmen bestätigen da leider oft nur die Regel.

Kunst als Zumutung mit Unterhaltungsfaktor
Spiele werden gerade wegen ihrer scheinbar vorrangigen Unterhaltungsfunktion abgewertet. Man gesteht ihnen nie zu, dass sie einfach unterhalten dürfen. Aber das ist nun mal ein wichtiges Kriterium. Genauso, wie auch für Filme. Auf der gerade zu Ende gegangenen Berlinale hatte die neue Kulturstaatsministerin Monika Grütters gesagt: „Ich meine, Kunst darf und Kunst soll auch Zumutung sein und wenn sie darüber hinaus auch noch unterhält, umso besser.“ Auch wenn sie sich damit auf Filme bezog: Es gibt keinen vernünftigen Grund, diese Forderung nicht auch auf das Medium Spiel zu beziehen.

In der Süddeutschen schreibt Autor Tobias Kniebe in einem Vorbericht zur Oscar-Verleihung: „Wer (…) American Hustle als Besten Film wählt, wählt die reine, unschuldige Lust am Spielen und Fabulieren – keine Message, kein Thema, keine Agenda.“ Was hier positiv gemeint ist, wird bei Spielen oft benutzt, um sie grundsätzlich abzuwerten.
Doch was für viele Filme gilt, ist exakt auch für viele Blockbuster- oder Mainstream-Filme ein Kriterium: GTA V beispielsweise ist ganz sicher reine Lust am Spielen und Fabulieren. Ob nun das Spiel GTA V und der Film American Hustle „kein Thema“ haben, ist aus meiner Sicht aber erst mal unbewiesen.
Aber ganz egal ob ein Spiel wie GTA V einem Rezensenten nun gefällt oder nicht: Wer nicht in einem Vakuum lebt, muss dieses Spiel wahrnehmen. Mir persönlich hat es zum Beispiel als Spiel nicht sonderlich gefallen, aber ich würde GTA V jederzeit als als eines aufzählen, das in einen Kanon gehört. Als einem Spiel, irgendwo zwischen den Sopranos und Breaking Bad, das manchmal platt und brutal wirkt und doch immer mal wieder mit einer glaubwürdigen Welt und interessanten Protagonisten punktet.

Es gibt Spiele, die genau das sind, was Frau Grütters Filmen zugesteht: Zumutung, die trotzdem unterhalten darf. Das viel gelobte „Papers, please!“ zum Beispiel. Der Spieler als Grenzbeamter, der Leid sieht und auch welches verursacht. Ein solches Spiel darf ruhig mal in einem Feuilleton oder einem Kulturmagazin rezensiert werden. Gerne auch neben GTA V. Denn Relevanz entsteht natürlich nicht nur aufgrund von hehren Ansprüchen, sondern auch durch Erfolg. Ich unterstelle Monika Grütters jetzt einfach mal, von beiden Spielen noch nie gehört zu haben. Und natürlich geht es bei der Berlinale zunächst mal eben um Filme. Aber sie sprach von Kunst, von Kulturerzeugnissen. Und als solches müssen wir Spiele behandeln und sie danach bewerten.

Als Spieler könnten wir ja mal damit anfangen, nicht immer alle Nicht-Spieler automatisch als Ahnungslose abzuwerten und ihnen oftmals jedes Rederecht zu entziehen. Und die Kulturredakteure dieser Welt sollten mal über den Tellerrand von Theaterspielplänen und Thees Ullmann-Platten hinausschauen. Denn irgendwann wird es auch pensionierte Oberstudienräte geben, die mit Spielen aufgewachsen sind.

„Ich lebe doch nicht in einem Vakuum!“
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8 Kommentare zu „„Ich lebe doch nicht in einem Vakuum!“

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