Letzte Woche bin ich mit 29 Minuten und 30 Sekunden aus dem Schnitt gekommen. Man wird ja, wenn man sich 4 oder 5 Monate mit einem Thema beschäftigt, ziemlich betriebsblind. Ich glaube aber, die Doku ist eine ganz runde Sache geworden. Mit Themen-Aspekten, die Spieler und Nicht-Spieler interessieren sollten. Wir waren zu Besuch bei Maxis, es wird neue Bilder von Will Wrights Spore geben und von Fable 2. Ich habe mit Peter Molyneux über Gut und Böse gesprochen und eine Heldin mit Hund gesehen. Außerdem gibt es ein paar wirklich abgefahrene Szenarien, wie Spiele in Zukunft mit Gedanken beeinflusst und durch Handbewegungen gesteuert werden sollen. Und ein paar Visionen, wo es hingehen wird.
Will Wright und seine Sporen zu besuchen, war gar nicht so einfach. Der Mann ist gefragt und EA hat ein Luxusproblem. Pro Tag trudeln Dutzende Interview-Anfragen und Besuchswünsche ein. Letztlich hat es aber doch geklappt, bei Maxis vorbeizuschauen.
Ich bin über die Games Developers Conference gelaufen und habe unglaublich schöne Indie-Games ausprobiert. Digitale Baukästen aus Finnland, Stummfilmwelten aus Kalifornien und Modelllbauten aus Deutschland.
Dazu eine Menge ziemlich abgefahrener Technologien, wie man in Zukunft Spiele steuern soll: mit Gedanken steuert oder mit dem eigenen Körper.
Matthias Horx, der Zukunftsforscher hat ein paar messerscharfe Pfeile in Richtung Spiele-Kritiker geworfen:
„Meiner Meinung nach wird daraus ein neuer kultureller Klassenkampf resultieren: Die Online-Spieler gegen die seriellen Medien-Nutzer. Menschen, die Buchstaben hintereinander lesen, versuchen die Bewohner des digitalen Raums zu denunzieren. In den Medien wird heute schon versucht, diese neuen Kulturtechniken – die auch die Geburtstunde einer neuen Ich-Findung und Identität von Menschen ist – als „Nicht-Kultur“ und „süchtig“ anzuprangern. Das hatten wir bereits in der Antike als Platon gemeint hatte, durch die Schrift stürbe das gesprochene Wort oder als im 18. Jahrhundert behauptet wurde, lesen von Romanen mache süchtig und erzeuge schädliche Gedanken. Dieselbe Argumentationen haben wir heute gegenüber den Videospielern. Das wird sich in den nächsten Jahren zu einem massiven Kulturkampf ausdehnen – der mindestens die Dimension hat von Studentenrevolte von 1968.“
Olaf Zimmermann vom deutschen Kulturrat findet, man sollte Spiele nicht nur als Produkt sehen, dass man lediglich nach Jugendschutzmaßstäben beurteilt. Die entsprechende Pressemitteilung des Kulturrates hatte einen Wirbel ausgelöst, über den die Berliner selbst gestaunt haben. Auslöser für den kulturellen Ritterschlag war laut Zimmermann die Aussagen des damaligen bayrischen Innenministers Beckstein: Beckstein hatte nicht nur gesagt, dass er Kinder und Jugendlich schützen will, er wollte gewalthaltige Spiele auch für Erwachsene verbieten.
Zimmermann:
„Das war für uns bedenklich. Unabhängig davon, wie ich solche Spiele beurteile, da gibt es ja auch so etwas wie Freiheit, wenn ich anfange zu sagen, auch Erwachsenen dürfen solche Spiele nicht mehr spielen. Dann wird es eng, fange ich dann morgen an und sage, Erwachsene dürfen bestimmt Filme nicht mehr sehen, bestimmte Bücher nicht mehr lesen, sperre bestimmte Bereiche im Museum ab…
Das war der Auslöser und da entstand eine spannende Debatte. Sollte sich der Kulturrat darum kümmern, ist das Kultur? Ohne Zweifel ist es das und unter bestimmten Umständen ist die Gestaltungshöhe so hoch, dass es sich bei einem Computerspiel um ein Kunstwerk handeln kann.“
Und zufällig habe ich auf den letzten Drücker noch ein Thema für die Doku entdeckt, was ich nicht von Anfang an auf dem Wunschzettel hatte. Bei einem Besuch auf der Nürnberger Spielwarenmesse drückte mir jemand einen Prospekt in die Hand, mit Info zu einem Gamecontroller für Brettspiele. Mit einem abschätzigen: „Das wird nie was“ auf den Lippen…
Das sehe ich, mit Verlaub, anders. Yvio, so nennen die Macher ihren Gamecontroller, ist eine Konsole für Brettspiele. Entwickelt wird Yvio von einem StartUp-Unternehmen in Dresden. Die Idee: Den besonderen Charakter von traditionellen Gesellschaftsspielen mit den Vorteilen von Computerspielen zu verbinden. Dazu zählt vor allem die Merkfähigkeit des Computers.
Robert Wilm, Chef des Unternehmens:
„Wir wissen ganz genau was ein Spieler zu einem gewissen Zeitpunkt tut. Wir können hier auf den Karten oder auf den Figuren oder den Spielsteinen direkt Daten ablegen. Können die dauerhaft speichern, können die wieder auslesen, wissen also ganz genau, zu jedem Zeitpunkt, was getan wird auf dem Brett. Und das unterstützen wir dann audiovisuell.“
Die Konsole kann man via USB-Kabel an den PC anschließen. Aus dem Internet soll man sich für bestehende Spiele Updates ziehen können, um zum Beispiel neue Fragen für ein Ratespiel zu bekommen. Die Software befindet sich auf einer SD-Speicherkarte in der Konsole. Yvio selbst benötigt keine Kabelverbindung, die Konsole wird auf dem Spielbrett aufgesetzt und kommuniziert berührungslos über Induktion.
Das praktische ist, man muss keine dicken Handbücher wälzen, sondern kann gleich losspielen. Die Konsole erklärt im laufenden Spiel, was zu tun ist. In Spielen nennt man so was Tutorial… By the way: Yvio-Erfinder Robert Wilm spielt eifrig World of Warcraft, ebenso wie seine beiden Söhne. Der Mann weiß also, wo die Vorteile von Computerspielen liegen.
Robert Wilm:
„Wir versuchen das, was die Kinder an Videospielen mögen, eine epische Geschichte, eine Figur entwickeln, wieder auf die Gesellschaftsspiel-Ebene holen und das gelingt nur, wenn wir das bieten, was die Kinder an PC-Spielen mögen.“
Ehrlich gesagt habe ich auf der Spielwarenmesse zwischen der Einschätzung „genial“ und „das geht in die Hose“ geschwankt. Nachdem, was ich beim Dreh gesehen habe, denke ich: Die wissen was sie tun, das Konzept ist durchdacht. Ich glaube, es wird funktionieren. Verkauft werden soll Yvio im Bundle mit einem Spiel ab August 2008. 70 Euro inklusive Spiel soll der Spaß kosten. Drei Spiele werden erst mal nur erhältlich sein. Die Macher haben bereits dreimal so viele Spiele praktisch fertig. Der Handel scheint aber vorsichtig und konservativ zu sein und will erst mal nicht so viele verschiedene Spiel anbieten. So richtig entfaltet sich die Idee erst, wenn man komplexere Spiele in Kombination mit Yvio sieht. Eines davon ist Tarascon. Bei diesem Spiel muss man einen Drachen durch ein Labyrinth führen und diverse Rätsel und Aufgaben lösen. Landet man zum Beispiel auf einem Orakelfeld, muss man ein Rätsel auf der Konsole lösen. Auf der Konsole leuchten ein paar von mehreren LEDs auf. Die muss man alle zum Leuchten bringen, in dem man sie in der richtigen Reihenfolge drückt. Auf Zeit, versteht sich.
Konventionelles Spielen kann also durchaus von Videospiel-Technologie profitieren.
Die etablierten Game-Designer haben natürlich ihre jeweils eigene Philosophie, wie die Zukunft der Spiele aussehen könnte. Molyneux ist als Urgestein der Branche natürlich schon Tausend Mal gefragt worden, wie die Zukunft aussieht. Daher habe ich ihn einfach mal gefragt, wo er denn so richtig falsch gelegen hat.
Peter Molyneux:
„Eine gute Frage, wo habe ich falsch gelegen. Ich meine, ich bin in den letzten 20 Jahren andauernd gefragt worden, was in den nächsten 5-10 Jahre passiert. Habe ich richtig gelegen? Ich kann es nicht sagen, ich kann mich ehrlich gesagt nicht erinnern. Es gibt eine Redewendung, die zusammenfasst, was ich über die Zukunft in den letzten 20 Jahren gesagt habe. Sie kommt von Neil Armstrong und er sagte, die Leute erwarten zu viel in einem Jahr und nicht genügend in 10 Jahren. Und das trifft auch für das zu, was ich denke. Ich denke, mein Gott, wir haben eine neue Art der Steuerung von Nintendo und alle unsere Eingabemöglichkeiten werden sich im nächsten Jahr komplett ändern. Ich lag völlig falsch.
Als ich zuerst die PS2 und die XBox sah, sagte ich, wir werden bald fotorealistische Gesichter haben, mit Poren und Haaren, innerhalb von 3 Jahren. Ich lag um 10 Jahre daneben.
Ich lag bei vielen Dinge falsch und bei was ich am allermeisten falsch lag, war, welchen Einfluss das Internet aktuell nimmt. Ich hatte nicht erwartet, dass es ein so großer Unterschied wäre, das Social Networking ein so mächtiges Ding würden, in die Richtung sich auch Spiele bewegen, wie ich denke. Denn wenn wir nicht die Leute sind, die das ultimative Soziale Netzwerk stellen, wer dann?
Was Sie heute im Bereich social networking sehen, ist ein armseliges Beispiel für das, was es sein sollte.“
Für Wright ist das Spannende, wie weit die Anpassungsfähigkeit von Spielen noch gehen kann.
Will Wright:
„Für mich ist eine der potentiellen und aufregendsten Entwicklungen die, das Spiele sehr formbar werden könnten und sich sehr stark ändern, um den Spieler herum. Ich denke, Spiele sind das einzige Medium, die sich an ein Individuum anpassen können. Sie können absorbieren, was Du tust, in was Du gut bist, was Dich motiviert. Und sich daran anpassen, indem durch Computer und durch Spieler generierte Inhalte, Lern-Algorythmen, genutzt werden.“
Matthias Horx hat einen gefährlichen Job. Er ist Zukunfts- und Trendforscher und damit ständig in Gefahr, mit einer Einschätzung falsch zu liegen. Damit kann er vermutlich sehr gut leben. Seine Einschätzung ist aber sicher nicht völlig falsch:
Matthias Horx:
„Ich glaube, dass wir in 10, 20 oder 30 Jahren gar nicht mehr wissen, ob wir spielen oder arbeiten. Das sieht man heute schon in Büros kreativer oder innovativer Bereiche. Dort findet sich eine Mischung aus Simulation und Steuerung. Auch wenn man heutzutage eine Fabrik steuern möchte, steuert man eigentlich ein simulatives System – meistens am Bildschirm. Diese Konvergenz zwischen Spiel und Arbeit, zwischen Erfahrung, Sein und Entwickeln wird unsere Kultur vermutlich mehr verändern als Gutenberg und das Buch, da die Sogwirkung ungeheuer groß ist und wir dabei auch Fehler machen werden. Eine Seite dabei ist, dass sich Menschen in virtuelle Welten verirren und dabei unglücklich werden. Das ist aber die Brisanz des Mediums, mit der wir Lernen müssen umzugehen.“
Laufen wird die Doku im TV am 25. Mai. Sie wird aber voraussichtlich bereits eine Woche vorher im Web anzusehen sein. Wenn es soweit ist, verlinke ich natürlich an dieser Stelle. Watch out!