Eine weitere Station auf unserer Dreh-Reise war Hamburg. Die Frage, ob das Internet das Fernsehen ablösen kann, führt uns in die Schanze, in den knarzenden Altbau der Rocketbeans.
Game On
In der Hamburger Schanze, dem Viertel das sich so hartnäckig weigert, hip zu sein und es doch irgendwie ist, logiert Rocket Beans TV in einer alten Villa. Hier wurde bis im Herbst 2014 Gameone produziert. Viacom, der Auftraggeber, hatte die Sendung zuerst auf eine Ausstrahlung auf nur noch alle 2 Wochen zurückgefahren. Das war schon ein schlechtes Zeichen, daher kam die endgültige Einstellung im Herbst nicht ganz überraschend. Das Team war vorgewarnt, trotzdem blieb ihnen nicht viel Reaktionszeit. Sie hätten innerhalb der 25-köpfigen Redaktion immer mit offenen Karten gespielt, erzählt Eddy. Eigentlich hätten man Leute entlassen müssen – der Hauptauftraggeber war weg. Doch die Rocket Beans-Macher weigerten sich, einfach alles hinzuwerfen. Was durchaus eine Option gewesen wäre. Nach wirtschaftlicher Vernunft jedenfalls und auch nach der Erfahrung, wie schwierig es ist, sich als Produktionsfirma zu etablieren. Tatsächlich wurde niemand entlassen, doch um weitermachen zu können, musste Geld her und ein Konzept. Das Konzept hieß: Ab ins Internet.
Das klingt zwar nach „Fernsehen-ist-tot-lang-lebe-das-Internet“-Strategie, tatsächlich basierte diese Entscheidung zu einem guten Teil aus schierer Not. Versuche, bei anderen Sendern mit diesem oder einem ähnlichen Format weitermachen zu können, schlugen fehl. Mein persönliches Gefühl: Die Zeiten für kreativen Mut im Fernsehen sind schlecht. Das gilt für die großen Sender genauso wie den digitalen Nischen und spezialisierten Spartenkanälen: man riskiert wenig, abseits des erprobten Kerngeschäftes. Zumindest wird es überall schwieriger, Ideen durchzubringen.
Ein eigener Piratensender
Budi erzählt: „Das wir irgendwann mal so einen Sender machen wollen, das haben wir uns schon vor 10 Jahren erträumt, das ist aber auch, ganz blöd gesagt, nichts besonderes. Jeder, der in diesem Handwerk unterwegs ist, träumt davon, irgendwann mal etwas in diese Richtung zu machen, wo man Zeit hat, sich kreativ auf einzelne Sachen zu konzentrieren, ohne das es Abnahmeprozesse noch und nöcher gibt, ohne das es Kunden gibt, der wiederum dem eigenen Chef sagt, das musst du aber so oder so machen. Und diesem Traum verfolgen wir seit Jahrzehnten.“
Mit dem Budget, mit dem man früher EINE Sendung produziert hat, macht man bei den Rocket Beans TV nun viele Stunden Programm. Am 15. Januar ging Rocket Beans TV live, via Streaming-Portal Twitch. Twitch ist ein Streamingportal speziell für Gaming und eSports. Bekannter wurde es, als die beiden großen Konsolenhersteller Microsoft und Sony ankündigten, von ihren jeweiligen neuen Konsolengeneration aus könne direkt bei Twitch streamen. Im Mai 2014 kaufte Amazon das Portal. Schon länger gibt es ein Partnerprogramm, ähnlich dem von YouTube: Ab einer gewissen Zuschauergröße kann man sich bewerben und kann mit der Einblendung von Werbung Geld verdienen. YouTube kam für die Rocket Beans aber nicht in Frage: „Wir hatten gute Zahlen, aber bei YT verdient man nur mit Millionenklicks wirklich soviel, dass man so ein Projekt wie unseres re-finanzieren kann“, sagt Eddy. YouTube fungiert inzwischen einfach als Mediathek: Was bei Twitch gesendet wird, landet größtenteils später im YT-Kanal der Rocket Beans.
Das Budget fürs Weitermachen stammt aber nicht nur aus dem Twitch-Deal. Auch per Crowdfunding kam Geld zusammen – die Rocket Beans verfügen nach 8 Jahren Arbeit über eine treue Community. Die Macher waren sich des Risikos wohl bewusst und nannten ihren Kanal von Anfang an ein Experiment, das sie bis Ende März befristet hatten. Zwei Monate ist kurz, wenn man etwas aufbauen will, aber lang, wenn man von Anfang an davon leben können muss. Ende März konnten die Rocket Beans verkünden, es gehe weiter.
Wir sind einige Tage vor dieser Erfolgsmeldung zu Besuch und verbringen einen Tag in der Redaktion. Redaktions- und Schnitträume plus Studio findet man in vielen Produktionsfirmen, ob klein oder groß. Rocket Beans hat aber gleich aus dem ganzen Haus ein Set gemacht, noch mehr Kabel verlegt und Wände versetzt. Das Ergebnis: Man kann im Grunde aus jedem Raum heraus live senden. Sieben Sets finden sich in allen möglichen Ecken, für die unterschiedlichen Formate.
Gaming ist ein wichtiges Thema, aber längst nicht das einzige. „Im Grunde geht es um den ganzen Nerd-Kosmos, um Kino, Comics und Filme, „erzählt Eddy beim Rundgang, im Set von Schröcks Fernsehgarten. Und weil es soviel Fußballfans im Team gibt, soll demnächst noch ein Fußballsendung dazukommen.
Ich habe vor unserem Besuch viel RBTV geguckt, um mir ein Bild zu machen. Das die Sets sehr handgemacht aussehen (im Zweifel sind sie das auch), täuscht nicht lange darüber hinweg, dass hier professionell gearbeitet wird. Etienne „Eddy“ Gardé, Simon Krätschmer, Nils Bomhoff und Daniel Budiman sind keine Anfänger. Eddy und Simon waren bei der ersten Riege der Giga-Moderatoren dabei und haben ihr Handwerk gelernt. Letztlich machen alle länger Fernsehen, als es YouTube, geschweige denn Twitch, überhaupt gibt.
Was aber ebenfalls auffällt: Der Mangel an wirklich abwechslungsreichen Formaten. Es gibt viel unterschiedliche Themen, aber es fällt schon auf, dass Beiträge fehlen. Kleine Reportagen, Hintergrund-Berichte, Rubriken. Zwar gibt es News, die ein bisschen an alte Giga-Zeiten erinnern, aber eben keine geplanten, gedrehtem, geschnittenen und mit Off-Text versehenen Beiträge. Was schade ist, denn das haben die Redakteure drauf. Nur: Fernseh-Beiträge-machen kostet am allermeisten Zeit, Manpower und natürlich Geld. Nun ist zwar die Videospiel-Branche noch immer recht großzügig, wenn es um Einladungen geht: Zu Besuchen in Entwicklerstudios rund um den Globus. Das ist in der Branche bzw. generell in der Wirtschaft nicht unüblich. So spart man zumindest enorme Reisekosten. Dann muss man später aber immer noch Material sichten, Interviews übersetzen und das ganze schneiden. Schneller zu Programm kommt man, wenn sich 3-4 Leute vor die Kamera setzen und spielen, quatschen und interaktive Zuschauer-Spiele veranstalten.
Kleiner Einschub: Für unsere Videospielberichterstattung (Pixelmacher, etc) kam das nie in Frage, da wir als öffentlich-rechtlicher Sender solche Einladungen nicht annehmen dürfen, bzw. nur unter strengen Prüf-Auflagen. Wir haben es generell nicht gemacht. Ergab sich die Möglichkeit, beispielsweise in London beim Team von Batman:Arkham City vorbeizuschauen, haben wir Reise- und Produktionskosten selbst bezahlt. Generell muss man halt entscheiden, ob man trotz Einladung noch redaktionell unabhängig arbeiten kann. Es ist leicht vorstellbar, dass Berichte auf eine Einladung hin die Tendenz haben, nicht unbedingt Verisse zu sein. Es ist aber ebenso leicht nachzuvollziehen, dass ohne Pressereisen dieser Art für viele Medien eine Berichterstattung nicht in Frage kommt. Bei uns wurde jeweils abgewogen und diskutiert, wie hoch ein Thema hängt und wieviel man da rausholen kann, um Kosten zu rechtfertigen. Von der E3 2013 haben wir beispielsweise gleich zwei Pixelmacher-Sendungen produziert und mit einem Team vor Ort gearbeitet, um Reisekosten zu sparen. Man könnte also sagen, dass, egal ob mit oder ohne Einladung, der Kostendruck Einfluss darauf nimmt, über was berichtet wird. Wobei wir hier nicht von Nachrichten reden, sondern von Videospielen. Ein Vollprogramm wird natürlich Genres entsprechend gewichten und seine Budgets nach Wichtigkeit verteilen
Die Rocket Beans haben zwar größte Freiheit, was ihre Themenwahl betrifft. Die Umsetzung hängt aber eben auch an den Kosten. Das man momentan sehr viele „talking heads“ auf dem Schirm hat, fällt schon auf. Aber es muss natürlich nicht so bleiben.
Eddy gibt zu: „Im Fernsehen gibts halt einfach noch andere Budgets. Es ist zwar so, dass immer mehr Zuschauer ins Internet abwandern, aber die dicke Kohle, die fetten Produktionsaufträge, sind nach wie vor eigentlich nur im Fernsehen und das gibt einem einfach andere Möglichkeiten, Fernsehen oder Entertainment zu machen. Wir hatten im Prinzip jetzt die Möglichkeit zu sagen, okay, für ungefähr die gleiche Summe machen wir 24 Stunden oder einmal die Woche 25 Minuten… insofern bietet Fernsehen NOCH andere Möglichkeiten. Ob das immer so bleiben wird, wage ich zu bezweifeln.“
Damit kann er Recht haben. Es ist aber in solchen Zeiten des Umbruchs schwer zu sagen, wie sich das alles weiter entwickelt. Tatsächlich ist der vielgepriesene Rückkanal, den das Netz dem Fernsehen voraus hat, zur Zeit oft nicht mehr als ein Schwall ins All. Bei Twitch rauscht der Chat so schnell vorbei, dass kaum auf ernsthafter Austausch zustande kommt. Um wirklich cross-medial innovativ zu sein, braucht man einfach ein eigenes Budget.
Später am Abend senden die Rocket Beans ein Almost Daily mit dem Thema Internet vs. Fernsehen. Zu Gast: Sebastian. Wir wollen nicht nur hinter die Kulissen bei RBTV schauen, sondern auch gemeinsam Fernsehen im Netz machen und schauen, wie sich das Netz beteiligt. Während der Sendung schaue ich via Twitch zu und verfolge den Chat. Der aber rauscht in Höchstgeschwindigkeit durch. Im Studio bemüht sich Budi, ab und zu einen sinnvollen Strang festzuhalten und in die Diskussionsrunde zu werfen. Das gelingt mal besser, mal schlechter Am Ende lässt sich am besten bei Reddit nachlesen, was RBTV-Zuschauer von der Diskussion halten. Kurz gesagt: Nicht sehr viel. Kritisiert wird, dass die 3 Hosts mehr am blödeln, als am diskutieren war. Man habe die Gelegenheit, wo sich jemand aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen einer solchen Runde stellt, nicht mal annähernd sinnvoll genutzt.
Zitat des Zuschauers TwistedChi:
Generell super Sache und interessanter Gesprächspartner, aber ein wenig mehr Ernsthaftigkeit hätte dem ganzen gut getan. Teilweise wirkte es doch recht chaotisch und leicht daneben.
Ein anderer Zuschauer (fazermach1ne) schreibt:
was ne dumme und unsinnig diskussion da seit der werbung. der mann ist redakteur und kein sprecher, was erwartet ihr denn da. bleibt beim thema, gez-bashing ist einfach total daneben
Aber die Macher reagieren auch souverän: „Kritik ist angekommen: Das #adlive trotz tollem Gast voll verkackt. Beim nächsten Mal machen wir es besser“ schreibt Simon via Twitter.
Tatsächlich haben die Rocket Beans das Zeug, Fernsehen im Internet auf ein neues Level zu heben. Wenn die Finanzierung (noch) besser läuft und mehr Zeit und Raum für Format-Entwicklung ist, dann wird das richtig gut. Fernsehen schauen viele der Macher übrigens auch noch. Oft eben eher in der Mediathek, als zu einem festen Zeitpunkt.
Ich persönlich glaube nicht, dass Fernsehen verschwinden wird. Es ist eben nur nicht mehr konkurrenzlos. Letztlich hat in der Kultur-Geschichte der Medien keines ein anderes abgelöst. Gerade Fernsehen und Internet ergänzen sich hervorragend. Nur hat noch keiner den Stein der Weisen gefunden, was die Nutzung des Rückkanals betrifft und auch cross-mediale Ideen hat es noch nicht viel Bahnbrechendes gegeben. Wohl aber sehr gute Ansätze, wie beispielsweise die interaktive Web-Doku Netwars. Das Transmedia-Projekt netwars lief auf fünf verschiedenen Plattformen:
Als TV-Dokumentation, Web-Doku, Graphic Novel App, E-/Audio-/Paper-Book und ist auch als TV Serie geplant. Aber hier darf man wohl davon ausgehen, dass ein ordentlich großes Budget dahinter steckt. Und das ist schlecht angelegt.
Die Folge 2 unserer Reportage-Reihe, in der u.a. die Rocket Beans auftauchen, läuft am 6. Mai um 18 Uhr in 3sat oder in eurem Internet: 3sat.de/netzkultur (Mediathek).
Hallo Valentina,
vielen Dank für Deinen angenehm kritisch-würdigenden Blog-Beitrag zu Eurem Besuch bei den RocketBeans. Saubere journalistische Arbeit.Freue mich sehr auf die fertige Reportage. Steht schon fest, ab wann sie ausgestrahlt wird?
Edit: Manchmal sollte man Artikel vielleicht auch GANZ bis zum Ende lesen: „…Reportage-Reihe, in der u.a. die Rocket Beans auftauchen, läuft am 6. Mai um 18 Uhr in 3sat oder in eurem Internet: 3sat.de/netzkultur (Mediathek).“ 😉
Ich hätte es vielleicht ganz an den Anfang setzen müssen 😉
nur so als kleiner Tipp: auch ein „das“ am Anfang eines Satzes kann ein „dass“ sein. Ja ich weiß, Klugscheißerei und so, aber mit eindeutig journalistischem Kontext meiner Meinung nach keine ‚Kleinigkeit‘