Nach jahrelanger PC-Abstinenz, zumindest beim privaten Zocken, hat mich WoW tatsächlich nicht nur wieder an den PC zurückgebracht, zusätzlich ich bin auch noch ausgerechnet einem MMORPG verfallen. Interessiert mich sonst eher mäßig, höflich ausgedrückt. Doch mittlerweile steht zu Hause wieder ein halbwegs bespielbarer Rechner und die Konsolen bleiben erst mal kalt. Und in der Redaktion fliegt, so oft es geht, die Bürotür zu und der Spielrechner in der Redaktion wird zum Langzeit-Test genutzt. Azeroth, ich komme!
Teil 1: Wer bin ich?
Liebes Tagebuch, ein Spiel beginnt bekanntlich mit der Charakter-Auswahl. Mein in Pen and Paper Rollenspielen erfahrener Freund wirft mir gerne vor, ich würde in Rollenspielen nie die richtigen Charaktere wählen. Statt Druiden, Magiern, Dieben, Schurken oder Paladinen, die doch wesentlich einsatzfähiger wären, immer nur die Haudrauf-Charaktere. Krieger zum Beispiel.
Kann ja sein: Aber diese schöngeistigen Magier mit ihren Feuerwerks-Zauber-Effekten… hu, was sieht das toll aus. Och nee.
Oder Schurken und Diebe. Ich will doch erhobenen Hauptes durch Azeroth marschieren, statt heimlich durch die Büsche zu schleichen. Vielleicht der Paladin? Den hätte ich ja möglicherweise genommen, aber dieser alberne Riesen-Holzhammer in seiner Hand. Da seh’ ich ja aus wie der Camping-King im Heringe einschlagen! Kommt nicht in Frage, ich bleibe bei meinem Lieblings-Charakteren, den Haudrauf-Kriegern. Da gibt’s wenigstens ein ordentliches Schwert.
Untote, Orks oder Trolle finde ich grundsätzlich unsymphatisch, auch wenn diese Einstellung wahrscheinlich total untaktisch und unspielerisch ist. Mir egal, ich will was Anständiges. Also bleibe ich bei der Allianz. Ich wähle natürlich eine Frau, ich will mich schließlich identifizieren können. Dann noch schnell eine praktische Frisur mit Zopf, schließlich stören offene Haare im Kampfgetümmel ganz enorm, weiß doch jeder. Dann geht’s los, auf zum fröhlichen Jagen. Nachdem ich ungefähr 394 Kobolde vom einfachen Arbeiter bis zum Betriebsleiter ins digitale Nirvana befördert habe, sieht es stufenmäßig schon ganz gut aus. Finde ich zumindest.
Bitte hinten anstellen!
Ernsthaft frage ich mich nur, was die ganzen Leute, die mit Stufe 53 und höher an mir vorbeirauschen, sonst so machen.
Lustig ist, dass im Startbereich die meisten Spieler die gleichen oder ähnliche Quests erledigen. Da kommt es zu absurden Szenen vor meinem Rechner: „Finger weg, dass ist mein Wolf!“, schreie ich. Ich mache an dieser Stelle doch mal die Zimmertür zu, die Kollegen der Musik-Redaktion nebenan halten mich sowieso für schwer merkwürdig. Zeit, sich etwas weiter auszubreiten, schließlich ist Azeroth nicht Sylt, sondern ein Kontinent. Gastwirt den-Namen-habe-ich-vergessen hätte gerne 8 große Kerzenstummel. Oh Mann, sehe ich aus wie ein Gemischtwarenladen? Ich bin Kriegerin, verdammt! Und vor allem, die Mine, wo sich Kobolde (mal wieder) mit besagten Kerzenstummeln rumtreiben, liegt sonst wo. Ist vor allem Dingen blöd, wenn man sich so schlecht orientieren kann, wie ich. Die Karte hilft mir da so gar nicht. Schön wäre ein Routenplaner oder eine anständige Karte von Falk. So irre ich durch Weinberge und Hügel, ab und zu unterbrochen von Hoppelhäschen, Spinnen oder räudigen Wölfen. Bei der Gelegenheit sammle ich aber wenigstens diverse Erfahrungspunkte für Orte, an die ich gar nicht wollte. Am Ziel angekommen wird’s erstmals ein bisschen schwieriger. Nur jeder dritte Kobold hat einen verlangten großen Kerzenstummel und jeder zweite erwischt mich tödlich. Das gibt bekanntlich jedes Mal ein Erwachen im nebligen Friedhof.
Als Geist wandere ich schnurstracks Richtung meiner Leiche – theoretisch. Praktisch muss ich ständig oben rechts auf die Mini-Map schielen. Vor allem: Warum zum Kuckuck kann ich nicht durch Hindernisse durch, ich bin ein Geist! Nachdem ich 247 Mal vom Friedhof zurück zur Mine marschiert bin, habe ich endlich die dusseligen acht Kerzenstummel zusammen. Erschöpft sinke ich im Stuhl zusammen: Meine Kriegerin im Wirtshaus-Holzstuhl, ich auf dem ergonomischen Bürostuhl.