3,2,1, meins? Von wegen: Gerechtigkeit im MMO…

MMOs. Sind. Nicht. Gerecht.

Sagt der liebste Spieler von allen. Damit könne ich den Artikel hier mit vier Worten bestreiten, sagt er außerdem. Aber das Thema ist selbstredend etwas komplexer. Also der Reihe nach. Natürlich gibt es in fast allen Videospielen irgendwas zu gewinnen. Herzen von Prinzessinnen, die Weltherrschaft, den Supercup oder den epischen, manazerstörenden Hüftgürtel. Üblicherweise wirft Euch das aber die KI vor die Füße und Ende. Ihr müsst das mit niemandem ausdiskutieren, Ihr benötigt auch keine Anwesenheitspunkte und streiten müsste Ihr mit der KI auch nicht. Aber vor allem in Massively Multiplayer Online Roleplaying Games, kurz, MMOs, ist gerechte Verteilung ein ewiges Thema. Denn hier habt Ihr es mit Menschen zu tun. Wenn mehrere Leute gemeinsam spielen, muss die Verteilung von Belohnungen jedweder Art gerecht organisiert sein.

Ich spiele eines davon, World of Warcraft, seit 2004. Und wenig hat mich dort mehr in Stress versetzt, als die Beuteverteilung am Ende eines erfolgreichen Raubzugs. Keine Frage: Das muss grundsätzlich gerecht zugehen. Dafür brachte WoW ein System mit: Bedarf vor Gier. Das sah so aus, dass man schlicht per Mausklick wählen musste, ob man bei einem Gegenstand ‘Bedarf’ oder ‘Gier’ hatte. Klar, dass der Bedarf die bloße Gier grundsätzlich schlug und das das ein halbwegs faires System zu sein schien. Tatsächlich war aber die Frage, ob ich jetzt bei den güldenen Beinkleidern aus dem Schatz des Drachen Bedarf oder Gier habe, nicht ganz so einfach.

Aber der Reihe nach. Schloss man sich zu einer Gruppe von fünf SpielerInnen zusammen, konnte man sich in Dungeons wagen, die viele gefährliche Gegnerwellen zu bieten hatten und an dessen Ende der gefährlichste aller Gegner, der Endboss, wartete. Quasi wie der Drache Smaug von J.R.R. Tolkien, der auf einem dicken Schatz hockte.
Raids, also Schlachtzüge mit 40 SpielerInnen, sind ein noch kompliziertes Thema, was die Beuteverteilung und Organisation angeht. Bleiben wir lieber erstmal bei ersterem.

Man zauberte, prügelte und schoss sich also zu fünft durch Tempelanlagen und Schlösser, durch Höhlen & Burgen. War der Endboss mal geschlagen, warteten einige wertvolle Beutestücke auf die Verteilung. Waffen, Geschmeide, Klamotten – natürlich alles mit besonderen Eigenschaften versehen: Mal eine Waffe mit mehr Schaden, mal ein Ring, der Zaubersprüche mächtiger machte oder ähnliches. Es öffnete sich ein Fenster, bei dem alle aus der Gruppen wählen mussten, wie sie zum zu vergebenden Beutestück stehen: Man klickte entweder auf ‘Bedarf’, auf ‘Gier’ oder man passte. Sobald einer ‘Bedarf’ wählte, waren alle, die auf ‘Gier’ setzen, raus. Wählten zwei Spieler ‘Bedarf’, entschied es sich zwischen diesen beiden, und so weiter.
Der Bedarf ergab sich aus der Zusammensetzung der Gruppen. Rollenspiel-Klassen haben völlig unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten. Nicht jeder kann jeden Gegenstand verwenden. Mit meiner Magierin hatte ich klar Bedarf für alles, was für Zauberei relevante Werte besaß. Ein Krieger in der Gruppe wiederum eher an allem, was für schwere waffenstarrende Klassen Sinn machte. Etwas, was Brustpanzer des furchtlosen Grobians hieß, war also eindeutig nichts für mich als Magierin. Diese Spielklasse konnte nur leichte Stoffroben tragen, aber nichts, was auch nur ein Eichhörnchen abgehalten hätte. Will sagen: Krieger und Magier sind so gegensätzlich, da ist die Frage, ob ich auf ‘Bedarf’ oder ‘Gier’ zu klicken habe, nicht so schwer zu beantworten. Magiern, Hexer oder ähnliche Spielklassen nennt man daher auch liebevoll “Stoffis”.
‘Gier’ wählte man, konnte man den fraglichen Gegenstand nicht selbst nutzen – denn sowas ließ sich immer prima verkaufen. Und virtuelles Geld war in den Anfängen unser aller Onlineleben in Azeroth immer knapp. Wir hatten ja nichts, damals, vor 15 Jahren.

Ich war mir aber sehr oft nicht sicher, ob ich da nun wirklich Bedarf hatte oder nicht. Da tickerte im Loot-Fenster ein Balken runter, ich war unter Zeitdruck und welche Werte für meinen Charakter jetzt relevanter waren, als für den anderen “Stoffi” in der Gruppe… Hilfe! In Gruppen mit bekannten Mitspielern habe ich die meist diskret im direkten Chat gefragt, was ich würfeln sollte. Wer will schon als ahnungsloser Dödel dastehen und sowas in die große Runde fragen. In Gruppen mit unbekannten MitspielerInnen habe ich dann lieber einfach ‘Gier’ gewählt, wenn ich unsicher war. Manchmal flüsterte dann jemand im direkten Chat, dass das ziemlich dämlich gewesen sei. Mitleidige Mitspieler händigten dann aber manchmal den gewonnen Gegenstand direkt wieder an mich aus. Aber es sind nun mal nicht aller SpielerInnen nett. Oder geduldig.

Man könnte denken, dass das Konzept, Bedarf oder Gier abzufragen doch nicht so kompliziert sein könnte. Nun gibt es aber Spielklassen, die ziemlich flexibel sind. Jäger beispielsweise, können fast alle Waffen nutzen, bis auf eine. Die konnten also im Grunde fast immer Bedarf sagen – auch wenn sie es eigentlich schon 3 mal im Gepäck hatten und für das Auktionshaus horteten. Am Ende eines vierstündigen Gemetzels gegen Drachen, Riesenspinnen, zweiköpfige Orks und anderen Halunken konnte es zu derart unangenehmen Gruppenchat-Debatten kommen, dass alles davor wie ein gemeinschaftliches Friedensblumenpflücken wirkte. Und ja, es gibt in Azeroth Blumen, die Friedensblumen heißen. Da, wo alle Menschlichen ihr Onlineleben beginnen, also bei Level null. Ihr versteht?

Beuteverteilung mit System

Raids, also Schlachtzüge, sind gewissermaßen die Königsdisziplin in *World of Warcraft. Zu Anfangszeiten fanden sie mit vierzig SpielerInnen statt. Eine solche Unternehmung zu organisieren, kostete unglaublich viel Zeit und Organisation. Raids zählen zu den beliebtesten Beschäftigungen in einem MMO. Diese Unternehmung war zeitaufwendig, man musste Erfahrung haben, also die Gegner kennen, die Angriffswellen in ihrer Reihenfolge und die passenden Gegenmittel und Strategien. Am Ende warteten aber nunmal ganz besondere Beutestücke.
Im Grunde fast schon ein Spiel im Spiel. Auch wenn ich viele, viele Stunden in Azeroth verbrachte, Raids, oder Schlachtzüge waren eine andere Hausnummer. Die meisten, die gerne an solchen Schlachtzügen teilnahmen, organisierten sich in festen Gruppen, den Raid-Gilden und zu festen Spielzeiten. Man brauchte alle vierzig und wenn einer ausfiel oder absagte, musste Ersatz bereitstehen oder organisiert werden. Es musste einen Raid-Leiter geben, der üblicherweise meist auch der “Plündermeister” war. Denn hier war nichts mehr mit simplen Würfel-Spielchen am Ende. Für meine Begriffe hätte es ja eigentlich dazu auch gleich noch einen Betriebspsychologen geben müssen…
Scherz beiseite, die Sache war ernst. Zu Beginn eines Raids legte die Gruppe fest, wie das mit dem Plündern geregelt werden werden sollte: via Plündermeister oder jeder gegen jeden. Das entschied jede Gilde für sich und meistens etablierte sich das als Regel. Die meisten Raid-Gruppen organisierten die Beutevereteilung nach einem festen System, wovon es einige gab.

Viel spielen, viele Punkte: So lässt sich in Etwa das DKP-System erklären. Wer jetzt an die Deutsche Kommunistische Partei denkt: Die beschäftigt sich zwar inhaltlich bisweilen mit der gerechteren Verteilung von Kapital, hat sich aber meines Wissens nach noch nie in MMOs dafür stark gemacht. Außerdem geht es im MMO eher darum, wer das dickste Stück vom Kapital verdient hat. DKP steht im Rollenspiel-Kontext für ‘Dragon Kill Points’ und wie viele wesentliche Elemente der MMOs entstammt es den Pen & Paper-Rollenspielen.
Die Grundidee beim DKP-System ist, dass sich Spieler in Raids Punkte verdienen können und mit diesen dann die begehrten Gegenstände kaufen können. Punkte gabe es üblicherweise für regelmäßige Anwesenheit, für pünktliches Erscheinen, für erfolgreiche Bosskills und was einem sonst noch sinnvoll erscheinen mochte. Wer die meisten Punkte hatte bzw. bieten konnte, bekam den Zuschlag. Klingt fair, denn anders als die Würfelei war das war kein Glücksspiel. Aber es gibt auch hier Nachteile: je mehr man spielte, desto inflationärer wurde das Ganze. Regelmäßige Teilnehmer waren irgendwann gut ausgestattet, verdienten noch immer Punkte, gaben aber kaum mehr welche aus.
Manche Gilden hatten stattdessen einen Beute-Rat. Dabei entscheidet ein Gremium, wer einen Gegenstand am ehesten bekommen soll. Dafür wurde besprochen, wem der fragliche Gegenstand am meisten bringt und wie das der Gruppe am besten hilft. Ein System, bei dem man wohl davon ausgehen muss, dass innerhalb der Gruppe ein sehr gutes Vertrauensverhältnis herrschen muss. Ich kenne aus meiner Spielererfahrung keine Gilde, die das so löste – die meisten scheinen doch Punkte für fairer zu halten.

Auf der Suche nach Gerechtigkeit

Warum das Ganze? Warum gab oder gibt es überhaupt solche Kämpfe? Die Antwort findet sich wohl in der Pen & Paper-Herkunft. Bei einem Spiel, bei dem mehrere Menschen an einem Tisch sitzend ein gemeinsames Abenteuer bestehen, geht es nicht anders. Ganz am Ende muss zwingend entschieden werden, wie die Beute verteilt wird. Dafür muss es Regeln geben, die definiert sind und die hie und da variabel sein müssen. Im Videospiel könnte grundsätzlich das eine KI auf Basis fester Werte entscheiden und in den meisten anderen Spielegenres ist das auch so. Bei World of Warcraft ist aber noch immer die Idee einer Rollenspiel-Gruppe am Tisch die Grundmechanik -bzw. Basis. Vielleicht auch deswegen ist das Verteilungs- oder Lootsystem so enorm langlebig, obwohl es technisch längst anders ginge. Tatsächlich hat Blizzard das System mit dem Plündermeister erst Anfang 2018 abgeschafft und durch den sogenannten “personal loot” ersetzt. Das bedeutet, dass am Ende einfach für jeden Spieler der Gruppe individuell Beute abfällt – wenn denn etwas abfällt.

Ist das gerechter? Eine Umfrage unter Bekannten erbringt: nein. Es sei nicht gut durchdacht, findet einer. Bekomme man einen Gegenstand, der einem nichts bringe, können man den oft nicht weitergeben.
Auch ein Blick ins Forum verrät, dass das aktuelle System auch nicht von jedem als gerecht empfunden wird. So moniert ein Orc-Todesritter namens Dirter: “Man bezwingt gemeinsam einen Dungeon, einen Raid. Der Boss dropt dann auch Loot für die Truppe die diesen bezwungen hat. Dafür gabs in der Vergangenheit mehrere Varianten diesen zu verteilen, manche waren beliebter, manche unbeliebter, manche erfolgreicher als andere.
Perso-Loot ist das bisher mit Abstand schlechteste Loot-System, das man einem MMO hätte verpassen können. Ein MMO zeichnet sich durch Zusammenspiel aus und ich will, wenn ich nen Boss gemeinsam lege, dann die Items auch sinnvoll verteilen.”

Punkteverteilung, die die Spieler unter sich ausmachen, kostet viel Zeit. Das scheint in heutigen Zeit einfach überholt. Trotzdem war das Konzept extrem langlebig und vielleicht ist es auch schlicht total demokratisch, diese Dinge in die Hände der SpielerInnen zu legen.
Es fällt aber schon auf, dass wir offenbar allesamt bürokratische Erbsenzähler sind, egal ob mächtiger Schattenzauberer, tödliche Elfen-Kriegerin oder schlagkräftiger Todesritter. Wenn es um den Zweihänder namens Juwelenbesetzter Haispalter geht, ist Schluss mit lustig. Aber vielleicht wird Azeroth irgendwann mal eine richtige Gerichtsbarkeit bekommen. Es gibt schließlich Auktionshäuser und Banken! Irgendwann sind wir so nah dran an der Realität, dass ich mir in einer der hübschen Hauptstädte ein Häuschen kaufe, ein Kissen aufs Fensterbrett lege und den ganzen Tag Leute anmeckere, die vorbeilaufen. Vermutlich passiert das eher, als dass es vollständige Gerechtigkeit im MMO gibt.

Bevor ich’s vergesse: Hier entlang zur WASD!

Wo’s Beute gibt, gibt’s Beef
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Und jetzt ihr!

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