…findet nicht im Netz statt. Diese Einstellung tragen vor allem diejenigen wie ein Schutzschild vor sich her, die eher nicht „drin“ sind. Im Netz. Der von mir sehr geschätzte, ebenso scharfzüngige wie intelligent schreibende Medienjournalist Stefan Niggemeier hat mal wieder was aufgeschrieben, über dieses Internet. In der Zeitung FAZ, die es leider nicht frei für jeden in eben dieses Internet stellt. Ich hoffe, man kann es demnächst in seinem Blog nachlesen. Im Kern geht es darum, was „echter“ ist: Online- oder Offline-Kontakte. Ich kenne diese Diskussionen zu Genüge aus meinem Freundeskreis und aus der Redaktion. Nur Gespräche von Angesicht zu Angesicht werden als echt angesehen. Online-Kommunikation gilt oft als unecht, weniger wert oder gar bedenklich.
Niggemeier schreibt:
„Es ist, als würden im Internet die Computer miteinander kommunizieren, nicht die Menschen, die sie bedienen.“
Ich habe eine Freundin, die besitzt zwar ein Handy, hat es aber entweder aus oder nicht dabei. Erübrigt sich vermutlich, zu erwähnen, dass sie damit „nur telefonieren“ kann. Zu Hause erreicht man sie, wie die meisten Berufstätigen, nur selten. Sie besitzt nur eine dienstliche eMail-Adresse und hasst es daher, zu Hause in ihre Mails zu gucken. Lange Zeit war das auch einer der Gründe, warum sie zu Hause nicht mal einen Onlinezugang besaß. Sie besitzt in keinem sozialen Netzwerk ein Profil. Um das festzuhalten: Nichts davon ist auch nur ansatzweise verwerflich. Nur bisweilen etwas unpraktisch für uns, ihre Freunde. Dann nämlich, wenn wir sie erreichen wollen. Sie gehört aber zu denjenigen in meinem Freundeskreis, mit denen ich häufig über die grauenvollen Gefahren im Netz diskutiere (wenn es mir nicht gelingt, mich zugunsten der Harmonie elegant um das Thema herum zu mogeln), die zunehmende Vereinsamung der Jugend, die nur noch in Smartphones oder Laptopbildschirme starrten.
Vergangene Woche veröffentlichte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung eine Studie, derzufolge 560.000 Menschen hierzulande internetsüchtig sind. Von dem Problem Internetsucht hören wir schon ziemlich lange. Gefühlt seit Jahren. Da ist fast ein bisschen lustig, dass die Studie mit folgenden Worten beginnt:
Die Datenlage zur Prävalenz (=Krankheitshäufigkeit/die Aut.) der Internetabhängigkeit ist defizitär. Die zur Verfügung stehenden Befunde für Deutschland weisen methodische Mängel auf, insbesondere basieren sie nicht auf repräsentativen Stichproben.
Die vorliegende Analyse könne aber „auf eine große und repräsentative Stichprobe zurückgreifen, die im Rahmen der Studie Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE) rekrutiert“ sei. Wenn ich mir den Fragenkatalog anschaue, sträuben sich mir die Haare. Ein paar Beispiele aus den 14 Fragen:
1. Wie häufig finden Sie es schwierig, mit dem Internetgebrauch aufzuhören, wenn Sie online sind?
6. Wie häufig denken Sie an das Internet, auch wenn Sie gerade nicht online sind?
10. Wie häufig erledigen Sie Ihre Aufgaben zu Hause hastig, damit Sie früher ins Internet können?
1. Wie häufig finde ich es verdammt schwierig, nicht jetzt sofort die ganze Tafel Schokolade zu essen, die im Schrank liegt, statt nur einen Riegel? Das saumäßig spannende Buch aus der Hand zu legen, obwohl es schon sau-spät ist?
6. Wie häufig denke ich daran, wie es in dem sau-spannenden Buch, dass ich gestern Abend sau-spät aus der Hand gelegt habe, wohl weitergeht? Andauernd! Wie oft freue ich mich, dass ich doch noch einen Riegel von der Schokoladentafel übrig habe, den ich sofort inhalieren werde, sobald ich zu Hause reinkomme? Oft. Wenn ich es denn mal schaffe, nicht alle vorhandenen Süßigkeiten ansatzlos zu terminieren.
10. Also wirklich. Das ist ein bisschen so, wie zu fragen, wie oft ich lieber auf der Couch rumlümmle, WoW spiele oder lese, statt… meine Steuererklärung zu machen? Die Ablage zu sortieren? Das Bad zu putzen?
DAS INTERNET! Offensichtlich wird hier überhaupt nicht unterschieden, WAS da im Internet getan wird. Natürlich gibt es Menschen, die nach virtuellem Sex süchtig sind. Und natürlich gibt es Menschen, die sich in einem MMO verloren haben, Kontakte abbrachen, jegliche Bodenhaftung verloren haben, die nach allen einigermaßen nachvollziehbaren Kriterien süchtig wurden. Es gibt Familien, die das erlebt haben. Denen zu erzählen, dass kein Entwickler in seine Spiele einen Suchtfaktor überhaupt einbauen KANN, ist müßig.
Nichts davon kann man aber mit Kontakten in Chats, in Foren oder sozialen Netzwerken generell gleichsetzen.
In der Pressemitteilung schreibt die Drogenbauftragte, auffällig sei,
dass in der Altersgruppe der 14- bis 16-Jährigen deutlich mehr Mädchen (4,9 %) als Jungen (3,1 %) internetabhängig sind. Die auffälligen Mädchen nutzen vorwiegend soziale Netzwerke im Internet (77,1 % der Abhängigen) und eher selten Onlinespiele (7,2 %). Die jungen Männer nutzen seltener soziale Netzwerke (64,8 %) und häufiger Onlinespiele (33,6 %). „Wir vermuten, dass Mädchen und junge Frauen besonders empfänglich sind für die Bestätigungen, die man in sozialen Netzwerken findet, und dadurch auch eher eine Abhängigkeit entwickeln können“, erklärt Privatdozent Dr. Hans-Jürgen Rumpf von der Universität Lübeck. „Das genaue Ausmaß dieser Störungen können wir aber erst in vertiefenden Befragungen untersuchen.“
Abgesehen davon, dass jeder Mensch Bestätigung braucht und sucht, auch erwachsene Menschen: Teenager suchen verstärkt noch nach ihrer eigenen Rolle, ihrer Persönlichkeit und Identität. Dazu braucht man Rückkanäle. Da ist der Onlinekanal nur einer von vielen: Der Schulhof, der Parkplatz der örtlichen Tanke, die Party bei einem nur los bekannten Mitschüler, der Club, das Telefonat, der Chat. Vor allem aber gerne ungestört von Ignoranten Erwachsenen. Und das Jungen und Mädchen unterschiedliche Betätigungsfelder, Vorlieben und damit Bestätigungsfelder haben, ist nun auch nicht so neu.
Eine andere Frage aus der Studie an die Teilnehmer lautetet: „Wie häufig bevorzugen Sie das Internet statt Zeit mit anderen zu verbringen, z.B. mit Ihrem Partner, Kindern, Eltern, Freunden?“ Man sieht Stefan Niggemeier förmlich mit dem Kopf schütteln, wenn er dazu schreibt, die Möglichkeit, im Internet Zeit mit anderen zu verbringen, sei offensichtlich nicht vorgesehen. Weil offensichtlich nicht vorstellbar, scheint mir.
Ich habe eine ganze Menge Menschen über „das Internet“ kennengelernt. Über meinen Blog, über Twitter und auch via Facebook. Letzteres ist eher selten, weil ich via Facebook am liebsten mit Bekannten kommuniziere und Freundschaftsanfragen von mir völlig Unbekannten ohne Hinweis auf irgendeinen Berührungspunkt nicht annehme. Ich habe festgelegt, dass man mir nur dann eine solche Anfrage schicken kann, wenn es gemeinsame Freunde gibt. So bekomme ich zwar ab und zu auch Anfragen von Menschen, die ich „in Echt“ noch nie getroffen habe, aber die sich mit dem gleichen Themen beschäftigen, in einem ähnlichem oder dem gleichen Job arbeiten oder was auch immer. Das ist gut, denn sonst würde ich manchen netten und interessanten Menschen nie getroffen haben. Manchen Stinkstiefel vielleicht auch nicht, aber bislang ist mir das noch nicht passiert.
Für mich ist das Internet oft auch die einzige Möglichkeit, einige Kontakt überhaupt zu halten. Zum Beispiel, weil Freunde oder Bekannte im Ausland leben. Oder, weil ein ursprünglich loser Kontakt erst über die spätere Kommunikation via eMails oder Chats erkennen ließ, wir verstehen uns prima. Und dann zu einer Freundschaft wurde. Die wäre nie entstanden, wenn man sich mal zufällig irgendwo getroffen hat, aber kaum Gelegenheit für ein längeres Gespräch hatte. Auf einer solchen Basis kontaktiert man die wenigsten Leute, um sie dann „in Echt“ besser kennenzulernen. Außer vielleicht beim Speeddating…
Stefan Niggemeier zitiert Miriam Meckel, die in einem Artikel mal schrieb, wahre Freundschaften entstünden nicht bei Facebook, sondern setzten sich nur im Digitalen fort. Stefan Niggemeier findet:
Das ist nicht nur anmaßend. Es ist auch bezeichnend in der Dichotomie (Zweiteilung=die Aut.) zwischen dem „wirklichen Leben“ und dem unwirklichem Internet – und den Werten, die ihnen jeweils zugeschrieben werden.
Stefan Niggemeier schreibt, er habe schon Onlinekontakte in der „wirklichen Welt“ getroffen und aus Onlinekontakten „echte“ Kontakte gemacht, ohne sagen zu können, welches die wichtigsten oder intensivsten Momente mit diesen Menschen waren. Die Unterscheidung sei schlicht sinnlos.
Klar ist für mich, dass nicht alle Kontakte auf einem ähnlichen Niveau stattfinden, egal ob analog oder digital. Ich unterscheide nicht zwischen einem Smalltalk mit der lose bekannten Kollegin in der Teeküche und dem Chat mit einem Bekannten aus der Gamesbranche via Facebook. Beides findet unter Umständen auf dem gleichen Niveau statt: Klatsch & Tratsch. Genauso, wie ich auch via Chat intensive Gespräch führen kann oder per Telefon oder mit Augenkontakt. Eigentlich eine Binsenweisheit. Für manche Menschen aber offensichtlich schwer zu begreifen.
Oh, ich habe auch mal an einer solchen Umfrage der durchaus renommierten Charité teilgenommen. Da gab es dann auch (sinngemäß) so klasse Fragen wie“ Wenn Du abends mit deiner Gilde raidest – fällt es Dir schwer zwischendrin einfach aufzuhören?“ oder: Regt es Dich auf, wenn Deine Eltern während des Raids das weiterspielen verbieten und den Rechner ausschalten?“
Tja was wird da wohl rauskommen?
Immerhin vermutlich ein schwächeres Suchtbild als wenn man deutsche Vereinsfußballer fragt, ob sie mitten im Ligaspiel vom Platz gehen wollen / können oder auch ne nette Vorstellung: wenn Mama Ballack auf den Platz rennt und schreit: „Junge hör jetzt auf und komm sofort runter vom Rasen, Du tust Dir noch weh! … 😉
Der Fußball-Vergleich ist immer klasse 😉 „Ärgerst du dich, wenn deine Mama in der 85. Minute auf den Platz rennt und sagt, du hast jetzt lange genug gespielt?“
Kein Problem Mama, in den letzten entscheidenden Minuten des Spiels störe ich eh nur, da kommen die Jungs mit 10 Leuten auf dem Platz genausogut zurecht. Als Torwart habe ich ja eh nicht soviel zu tun und steh meistens nur rum … 😉
Nur, dass die das leider ernst nehmen – vermutlich aus Unkenntnis gewisser zivilisatorischer Regeln und Gebräuche, die komischerweise auch im Internet gelten. Da wird dann in der Studie gleich ein „Ah, kann nicht aufhören wann er will“ draus – das gibt direkt ein dickes Minus auf der Sucht-Skala