Ich weiß nicht mehr genau, wann ich „Es“ gelesen habe, aber ich müsste so etwa in der Mittelstufe des Gymnasiums gewesen sein. Ich weiß jedenfalls noch, dass ich mit dem Rad zum Bahnhof fuhr, um mit der Bahn in die Schule zu fahren. Und dabei habe ich sorgfältig darauf geachtet, um Gullydeckel einen Bogen zu fahren. Man konnte ja nie wissen.

Am 15. September 2021 jährt sich die Veröffentlichung von Kings Roman zum 35. Mal. Gelesen habe ich es mit Sicherheit auch nicht direkt bei Erscheinen, sondern etwas später. Das Buch von damals habe ich nicht mehr, aber gut möglich, dass es eine mäßig übersetzte Ausgabe war. Offenbar ist nämlich die deutsche Ausgabe des Romans rund einen Monat vor der englischen erschienen, wie ich hier nachlas. Da King offenbar in diesen 4 Wochen noch einiges überarbeitet hat, gibt es Abweichungen zwischen den verschiedensprachigen Versionen des Romans.

Ich las zwischenzeitlich keine Neuausgabe, aber selbst wenn die alte Ausgabe nur mäßig übersetzt war, bleibt „Es“ wohl eines der Bücher, die mich am nachhaltigsten beeindruckt haben, mir bildhaft in Erinnerung geblieben sind. In der Geschichte der sieben Freund*innen, die sich als „Club der Loser“ bezeichnen, weil sie alle Außenseiter*innen sind, werden jede Menge harter Themen verhandelt: Armut, Kindesmisshandlung, Mobbing, Homophobie, Antisemitismus, Rassismus, Gewalt. Aber auch Freundschaft, Zusammenhalt, Liebe, Empathie. Dass sich gerade die „Loser“ und dazu noch Kinder, verpflichtet fühlten, gegen das Grauen in Gestalt von Pennywise, dem Clown, vorzugehen, hat mich tief beeindruckt. Natürlich trifft es gerade jugendliche Leser*innen, wie mich damals, besonders, denn auch um den Abschied von der Kindheit geht es, um die Suche nach Akzeptanz und Zugehörigkeit.

Ich habe von Stephen King, viel, vermutlich annähernd alles gelesen, was er veröffentlicht hat. Inzwischen würde ich sagen, dass es vielleicht nicht mal sein bestes Werk ist, dazu ist es tatsächlich stellenweise zu merkwürdig. Da sind diese elfjährigen Kinder, die nicht wie Elfjährige sprechen. Also wirklich gar nicht. Und bis heute frage ich mich, was King bewogen hat, die Szene zu schreiben, in der die elfjährige Beverly mit allen 6 Jungen Sex hat. Sie selbst übernimmt die Initiative und begründet wird das im Roman damit, dass die Kinder nur so die Einheit wieder herstellen können, die sie brauchen, um nach dem Kampf gegen Es aus der Unterwelt herauszufinden.

That’s right: The six 11-year-old boys take turns having sex with the 11-year-old Beverly. (I remember saying „What?“ out loud several times when I first read this scene, (…).

Michael Robbins in der Chicago Tribune: https://www.chicagotribune.com/entertainment/books/sc-books-rereading-it-stephen-king-0927-20170920-story.html

Was, siehe obiges Zitat aus der Chicago Tribune, nicht nur mich irritiert bis verstört hat. Falls Ihr nur den Film oder die Mini-Serie gesehen habt und Euch jetzt fragt, bitte was?! Diese Szene haben sich alle Adaptionen gespart. Verständlicherweise. Stephen King hatte in den 80ern zeitweise stark mit Alkohol- & Drogenproblemen zu kämpfen und ging 1987 zum ersten Mal in eine Entzugsklinik. Da sind möglicherweise auch einige dramaturgische Entscheidungen oder Ideen erklärbar. Er selbst wird häufig zitiert mit der Aussage, dass er sich bei dem ein oder anderen Roman an nicht mal mehr erinnern kann, ihn geschrieben zu haben.

Das Wesen, das üblicherweise in Clownsgestalt auftritt, nährt sich von Angst. Und es kann die Form und Gestalt von dem annehmen, was sein Gegenüber am meisten fürchtet. Vielleicht ist es diese Eigenschaft, die die Figur so absolut furchterregend macht. Überhaupt ist Angst wohl das stärkste Motiv des Buches. Nun ist es natürlich eine der hervorstechendsten Eigenschaften des Horror-Genres, Angst zu machen, nagendes Unbehagen auszulösen, etc. In „Es“ ist die Angst selbst aber eben auch Thema.

Die Mini-Serie habe ich nicht gesehen, wohl aber die beiden neuen Filme mit Bill Skarsgård als Pennywise. Letzterer ist großartig, insgesamt fand ich die Filme aber nur solide, nicht spektakulär gut. Das Buch ist wahnsinnig lang, aber noch immer würde ich sagen: Lesenswert.

Gut, dass „Es“ endgültig besiegt wurde! Aber bei Gullydeckeln bin ich immer noch etwas vorsichtig – man weiß ja nie …

„Der Zauber existiert“: Stephen Kings „Es“ wird 35 Jahre alt
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Und jetzt ihr!

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