Gerade habe ich für die Kulturzeit einen Beitrag über Spiele als Erinnerungsmedien gemacht. Es ging um Spiele im Kontext von Erinnerungskultur und gesellschaftspolitischer Verantwortung. Das beschäftigt mich noch immer, weil gerade viel zu viele Menschen in diesem Land offenbar wichtige Teile unserer Geschichte vergessen zu haben scheinen. Oder mutwillig einiges durcheinander werfen.
Geschichte im Spiel
Historische Ereignisse oder Hintergründe sind in Spielen meistens erst mal Kulisse. Der „wilde“ Westen in Red Dead Redemption, Vor- und Frühgeschichte in Far Cry Primal oder die industrielle Revolution in Anno 1800. Historische Aufbau-Strategiespiele wie Anno wären ohne historisch korrekten Rahmen halt auch öde. Nach Ausflügen in viele verschiedene Epochen ist im kommenden Anno die industrielle Revolution dran. Vor dem Hintergrund einer Ära im Umbruch lassen sich hübsche Kampagnen inszenieren: Da sind mal Streiks zu überstehen und natürlich geht’s auch auf Expeditionen, um ferne Länder zu kolonisieren entdecken. Aber Anno ist kein politisches Spiel und hüllt die Ära in freundliche, warme Farben. Das ist auch okay, Spiele müssen ja genauso wenig immer einen ernsthaften Anspruch an ihr Thema haben, wie Filme oder Bücher das nicht müssen. Künstlerische Freiheit eben. Ein bisschen was über Geschichte erfahre ich in jedem der genannten Spiele trotzdem, auch wenn es nicht im Vordergrund steht.
Mehr als Kulisse
Abseits von solchen Blockbuster-Produktionen finde ich aber vor allem bei den Indies mutige Entwicklungen, die mit begrenzten Mitteln aber umso mehr Herzblut an schwierige Themen gehen. Auf der Gamescom ist die Indie Arena erste Anlaufstelle für (fast) alles, was keine Zahl hinter dem Titel trägt. In der Indie Area gibt es keine riesigen Stände und keine spektakuläre Deko, aber viel zu entdecken.
My Child Lebensborn aus Norwegen widmet sich den Kindern, die dem „Lebensborn“-Verein der Nazis entstammen. Die irre, menschenverachtende Vorstellung der Nazis von einer arischen „Rasse“ wurde hier auf Vereinsebene gehievt. Kinder aus besetzten Gebieten, die dem arisch Ideal der Nazis entsprachen, wurden verschleppt und bei parteitreuen Familien untergebracht. Unverheiratete Frauen, die dem passenden Bild entsprachen und ungewollt schwanger wurden, konnten in Lebensborn-Einrichtungen anonym entbinden. Ihre Kinder gab man zur Adoption frei, vorzugsweise natürlich an Familien von SS-Angehörigen. In Norwegen wurden in den Lebensborn-Heimen bis zum Ende der deutschen Besatzung rund 12.000 Kinder geboren. Nach dem Krieg begann für sie eine unendliche Leidenszeit als Kinder des Feindes. Sie wurden diskriminiert und ausgegrenzt, ebenso wie ihre Mütter.
Geschichte lehrt uns, wer wir sind und damit sie nicht verblasst, braucht es auch andere Medien als Bücher und Filme. Elin Festøy, Produzentin von My Child Lebensborn, arbeitet auch an einer Dokumentation zum Thema. Auch ein Film vermittelt Geschichte, aber sie hat mir erzählt, warum eine Doku nicht alleiniges Mittel sein kann:
“Für jüngere Leute sitzen da einfach nur alte Leute und erzählen vom Krieg.
Auf dem Smartphone erreichen wir ein jüngeres Publikum und wir können es mitten in der Geschichte platzieren. Im Spiel adoptierst du ein siebenjähriges Kind, das in die Schule kommt. Du musst dem Kind erklären, woher all der Hass kommt. Das Kind kann das nicht verstehen, es hat ja nichts getan. Ein Spiel platziert dich mitten in der Geschichte, auf eine andere Art als ein Film es kann: Du interagierst und musst Antworten finden.“
Elin Festøy, My Child Lebensborn
Im Spiel müsst ihr eurer Adoptivkind durch die erste Schulzeit bringen. Das Spiel ist keineswegs so düster, wie sein Thema. Im Vordergrund steht, sich um ein Kind zu kümmern, das ganz normale Bedürfnisse wie Zuwendung und Liebe hat. Aber eben auch Ausgrenzung und Hass erfährt. Der historische Rahmen ist korrekt wiedergegeben, ohne dass das Ganze zur pädagogisch-historischen Lektion gerät.
Dunkle Zeiten brauchen mutige Menschen
Aus Deutschland kommt Through The Darkest Of Times. Spieler sind Teil einer Widerstandsbewegung. Trotz unzähliger Spiele zum 2. Weltkrieg: dem deutschen Widerstand widmete sich bisher kaum jemand mehr als oberflächlich. Die Widerständler sind fiktiv, die Gruppe selbst angelehnt an reale historische Vorbilder. Die Macher Jörg Friedrich und Sebastian Schulz waren Teil des Entwicklerteams, das Spec Ops The Line gemacht hat. Beide haben außerdem eine erkleckliche Liste an AAA-Produktionen auf dem Buckel: Dead Island 2, Dreadnought, Albion Online, Drakensang oder Yager.
Die beiden betonen ausdrücklich, dass sie dieses Spiel machen, weil sie glauben, das die Geschichte des Widerstandes gegen die Nazis auch in Spielen erzählt werden muss. Und zwar nicht nur oberflächlich. Ihr leitet im Spiel eine Widerstandsgruppe,, müsst das Regime mit gezielten Aktionen schwächen und natürlich Unterstützer hinzugewinnen. Dabei müsst ihr die Moral eurer Gruppe im Auge behalten und Ressourcen für den Widerstand beschaffen.
Das Spiel ist noch in Entwicklung und es ist auch noch nicht finanziert. Ich hoffe doch sehr, dass sich das findet!
Ein autobiografisches Spiel ist Path Out, von Abdullah Al Karam. Der junge Syrer verarbeitet hier seine Flucht vor dem Krieg. Wir schlüpfen also in seine Haut – eine für ein Spiel tatsächlich eher ungewöhnliche Rolle. Jedenfalls fallen mir nicht allzu viele Spiele ein, die autobiografisch sind und mich die Perspektive des Autors einnehmen lassen.
Wir halten fest: Mit Videospielen hat eine ganze Generation ein wichtiges, im Grunde auch ein neues, Ausdrucksmittel gefunden.
Ich glaube, ein Buch oder ein Film kann die Perspektive mitteilen, aber ein Spiel kann die Perspektive ändern. Das erlaubt dem Spieler, die Erfahrungen zu machen und man kann aus meinen Erfahrungen lernen. Etwas lernen von dem Spiel, nicht nur Spaß haben. Spaß haben ist auch gut, aber etwas lernen im Leben. Meine Flucht war schwer, ich habe was gelernt, aber ich hoffe, dass keiner in der Welt, in Deutschland im Leben erfahren muss – es ist besser, wenn man es spielt.
Abdullah Karam, Path Out
Path Out ist trotz eine dramatisch klingenden Geschichte ein humorvolles Pixel-Stück, dass auch Abdullahs Leben vor dem Krieg zeigt. Über kurze Clips in YouTube-Stil erfährt man immer wieder auch direkt etwas von und über Abdullah. Das ist wichtig, weil wir alle ein bisschen dazu neigen, von „den Flüchtlingen“ zu sprechen. Wir vergessen dabei gelegentlich, dass das ganz unterschiedliche Menschen sind, die zuvor ein ganz normales Leben geführt haben: Mit Jobs, mit Hobbies, mit Familie oder eben wie Abdullah als Student mit großer Leidenschaft für Videospiele.
Wie würde es sich für uns anfühlen, wenn wir aus unseren hippen Appartements oder Reihenhäusern, unseren Studentenwohnheimen oder 2-Zimmer-Buden auf einmal in einer Erstaufnahmeeinrichtung zusammengepfercht mit sehr unterschiedlichen Leuten säßen? Vermutlich ginge uns einiges auf den Wecker: der dicke schnarchende Typ nebenan oder das ständig schreiende Kleinkind. Unter uns wären garantiert nicht nur die nettesten Zeitgenossen, sondern auch Menschen, die zu Hause schon streitsüchtige Idioten waren. Die netten und die doofen Menschen wollen aber gleichermaßen nicht im Bombenhagel sterben. Es ist leicht, sich auszumalen, dass es auch Streit geben würde. Alle wären irgendwann runter mit den Nerven, viele hätten Schreckliches erlebt und statt auf unserem Balkon Geranien zu gießen, müssten wir uns damit auseinandersetzen, dass manche der Einheimischen unter bösen Blicken die Straßenseite wechseln, wenn wir ihnen begegnen.
Das ist, was ich an diesen „besorgten Bürgern“ nicht verstehe. Wie kann man davon ausgehen, dass alle Menschen, die hierher kommen, Verbrecher sind? Das sind sie genauso wenig, wie alle Akademiker, Steuerhinterzieher oder Briefmarkensammler sind. Wenn es zu irgendetwas kommt, um was sich Strafverfolgungsbehörden kümmern müssen, dann ist das kacke, wird aber dieses Land nicht in den Untergang treiben. Kein Verbrechen ist schlimmer oder besser, als das andere. Menschen sind Menschen. Wir haben zu Zeiten des Balkankrieges Menschen aufgenommen und die Bürger der ehemaligen DDR. Die sind auch nicht alle nur nett. Und fuck ja, das hier zur Zeit, das ist auch zu schaffen. Seehofer, heul leise.