„Lecker, kleines Mammut!“ In unverständlichem Kauderwelsch, aber immerhin mit Untertiteln, fordern meine Stammesgenossen mich zur Jagd auf den Nachwuchs eines Urzeit-Viehs auf. Dabei sense ich nur sehr ungern was mit Plüschohren um. Weniger Skrupel habe ich bei Orks (zwei Köpfe, null Hirn) oder Dämonen. Aber gut, ich bin nicht in Azeroth, sondern irgendwo zwischen Meso- und Neolithikum, in Oros. Das Spiel heißt Farcry Primal. Der Mensch, also ich, beginnt langsam, sich von seinem Nomadenleben als Jäger und Sammler zu verabschieden. Die ersten Stämme fangen an, Kolonien zu gründen und sich erstmals auch voneinander abzugrenzen. Gewissermaßen die ersten Wir-sind-das-Volk!-Bewegungen. Aber der Reihe nach.
Ich bin das Volk!
Nach der Auftaktszene mit der Mammutjagd bleibe leider nur noch ich übrig. Ich hätte ja ohnehin für einen Salat mit Sprossen plädiert, aber jetzt isses zu spät. Das lief alles total schlecht und ich muss beginnen, die verstreuten Mitglieder meines Stammes der Wenja wieder zu vereinen. Die Wenja sind noch recht traditionelle Jäger und Sammler. Wir sind aber im Großen und Ganzen immerhin ein recht friedlicher Haufen, jagen nur zur Ernährung und preisen jede Beute als großes Geschenk. Es gibt noch zwei weitere Stämme bzw. Kulturen. Zum eine die Izila, die gesellschaftlich und technologisch am weitesten entwickelt sind. Das wissen sie aber auch und es macht sie ein bisschen schnöselig. Sie halten sich den anderen Völkern gegenüber für überlegen und versklaven gerne mal Mitglieder anderer Stämme. Die müssen dann entweder für sie schuften oder werden einer Göttin geopfert. Das soll sich ja in der späteren Geschichte noch einige Male wiederholen, aber das wisst ihr ja. In der Beschreibung erinnern die Izila ein wenig an die Azteken, aber die kommen erst seeehr viel später dran.
Aber so richtig unangenehm ist die dritte Kultur, die Udam. Die mampfen nämlich nicht nur Variationen von Mammut sondern auch ihresgleichen. Es sind Kannibalen. Das klingt jetzt alles sehr simpel, aber tatsächlich haben sich die Macher schon eine historisch sichere Grundlage gesucht. Denn die Menschheitsentwicklung ist weit weniger gradlinig verlaufen, als man meinen könnte. Es gab parallel unterschiedlich weit entwickelte Gruppen des Homo Sapiens. So etwas wie die Udam nennen Historiker beispielsweise eine Anomalie. Die Udam stammen aus einer nördlichen Region, wurden durch die Eiszeit überrascht und konnten sich nur mit Kannibalismus und Inzest überhaupt bis in die Steinzeit behaupten. Doch noch sind sie da und sie machen uns, neben miesgelaunten Wildsauen und anderen Viechern, das Leben schwer.
Es gibt Haupt- und Neben-Missionen auf dem Weg zur Vorherrschaft in Oros – um Letzteres geht es storyseitig eigentlich. Im Grunde hangelt sich das Spiel an der Entwicklung der Menschen in Europa entlang, wenn auch mit ein paar Freiheiten in Sachen Zeitablauf. Das Spieltempo gefällt mir dabei deutlich besser, als bei den Vorgängern. Das ganze Rohstoff-Sammel-Ding gab es ja schon, aber hier fühlt sich das irgendwie besser an. Zum einen habe ich nicht das Gefühl, gleich zum Auftakt stundenlang versuchen zu müssen, an schier unschlagbaren Gegner vorbei zu kommen, bevor ich überhaupt soweit komme, mich mit anderen Dingen in dieser Welt zu beschäftigen. Primal startet mit zwei kurze Szenen, die man spielt, um uns dann mit einer gewissen Muße in die offenen Welt zu schicken: Die anfängliche Mammutjagd schafft die Ausgangslage, in der Folge treffe ich auf meine erste Clan-Genossin. Ab dann tue ich – mehr oder weniger sanft geleitet – Dinge. Ich sammle eifrig Rohstoffe, um die Pfeile basteln zu können, beschütze ein Trüppchen von Stammesgenossen (Status: Immerhin einer von vieren hat überlebt) und versuche weisungsgemäß, mein Dorf aufzubauen. Womöglich kann ich dann einen Wettbewerb a la „Unser Dorf soll schöner werden“ ausrufen oder mal einen Vortrag zum Thema vegetarische Ernährung halten. Bei WoW-gestählten Menschen wie mir triggert halt einiges: Da! Leuchtet! Was! Toll! Ich mag dieses vorsichtige Erkunden einer Welt – durchaus mit dem Risiko, auf blutrünstige Wölfe, Bären oder Udam zu treffen. Aber eben nicht am laufenden Band. Eine konstant hohe Action nervt mich meist nur.
Das heißt im Übrigen nicht, dass Farcry Primal ohne Fehl und Tadel ist. Zum Beispiel fehlt mir bei etwas, was so deutlich bei Rollenspielen klaut Anleihen nimmt, so etwas wie ein Quest-Log. Ich finde einige der optionalen Missionen, die ich kurzzeitig wegen meines Ablebens (dämliches Wildschwein) unterbrechen musste, nie wieder. Die Hauptmissionen sind verzeichnet, der Rest mit Fragezeichen. Aber das die angefangenen Ereignisse sind kaum wiederzufinden sind, nervt kolossal. Und warum die zwei Hände vor meiner Nase ohne Speer oder Bogen in der Hand nicht einfach mal mit der Faust zuhauen können, frage ich mich auch gelegentlich. Im Nahkampf helfen Pfeil und Bogen nämlich wenig und der Waffenwechsel ist irgendwie frickelig. Oft bleibt mir nur übrig, mich quasi abmurksen zu lassen, damit ich meine Ruhe habe. Erschwerend kommt hinzu, dass ich zu Beginn nur begrenzt viel Munition und anderes Zeug tragen kann. Und die mickrigen 16 Pfeile, die es aktuell sind, sind natürlich andauernd aus. Zu Beginn ist Farcry Primal echt ein Egoshooter für Arme.
Was als Haupt-Mission zunächst überschaubar wirkt, wächst sich dann doch zu einer längeren Reise aus. Was nicht schlecht ist, auch, wenn man immer wieder auf die Karte gucken muss. Unterwegs zum Schamanen, den mir meine erste eingesammelte Stammesgenossin empfiehlt, poppen diverse optionale Ereignisse auf, die alle lohnenswert erscheinen. Ich lerne, dass man Lagerfeuer aufsuchen muss, die dann zu Wiedererweckungspunkten werden. Ansonsten stellt auf euch lange Wanderungen ein.
Listen and repeat: Lernen Sie Steinzeitisch
Aber egal. Ich wandere durch Oros und bin gefesselt. Die Welt atmet und lebt, lässt mir Zeit, sie zu entdecken. Man spürt, auch ohne die Pressemitteilungen dazu gelesen zu haben, dass hier ein bisschen Arbeit und Herzblut eingeflossen sind. Farcry Primal schafft, was für mich zuletzt nur Michael Crichtons Jurassic Park (Chaostheorie! Proportionskurven! Genetik!) hinbekommen hat: Das ich ungeheuer gefesselt bin, weil etwas ganz nebenbei gut erklärt wird. Ihr könnt das auch gepflegt ignorieren, FC Primal ist kein von National Geographic lizenziertes Serious Game. Ich würde eher sagen, das Spiel zeigt exemplarisch, wie weit Videospielproduktionen inzwischen sind. Es reicht vielleicht auch schlicht nicht mehr, eine gute Grafikengine am Start zu haben, einen Haufen erfahrene Leveldesigner und jemanden, der ein Story-Setting hinzaubert. Stattdessen wird enorm viel Recherche betrieben, um ein stimmiges Gesamtwerk zu erschaffen. Die letzten Farc Cry-Spiele haben ja zudem immer auch eine Welt mit eigenen Mythen kreiert. Diese Eigenart wird hier beibehalten und dazu noch unendlich viel Input dazugeholt: Historiker, Anthropologen, Linguisten und Filmschaffenden.
Das Flora und Fauna mit Recherche untermauert sind, kann man schon fast als selbstverständlich bezeichnen. Linguisten haben aber sogar eine eigene Sprache geschaffen. Ich finde das ungeheuer spannend, denn aus Langeweile habe ich historische Ethnologie im Nebenfach studiert. Es ist nämlich so, dass es logischerweise keine Aufzeichnungen aus dieser Zeit gibt.ö Da die Menschen aber über funktionsfähiges Sprechwerkzeug verfügten, haben sie es ziemlich sicher benutzt. Man kann Sprachen, ähnlich wie praktisch jedes Kulturerzeugnis, so weit wie möglich zurückverfolgen und dann irgendwann rekonstruieren. Ab da wird’s natürlich ein bisschen ein Ratespiel – wenn auch auf Basis von Fakten. Man könnte nun einwenden, dass eh keiner merkt, ob das Gebrabbel der urzeitlichen Menschen einer Logik folgt oder nicht. Ich würde aber sagen, dass sich unterschwellig sehr wohl etwas wichtiges vermittelt. Das ist vergleichbar mit Film-Regie. Wer jemals bei Dreharbeiten dabei war wird erleben, dass selbst für scheinbar kleine Szenen sehr lange aufgebaut, eingerichtet und geprobt wird. Statisten, obschon kaum im Bild, werden mit größter Sorgfalt eingekleidet und instruiert. Und das für Szenen, die vielleicht nur wenige Sekunden dauern. Wenn es zudem noch um Fantasy oder Science Fiction geht, kann oder muss man noch viel weiter gehen und ganze Welt erfinden. Was im Grunde für Spiele fast immer gilt. Und all diese kleinen und großen Dingen zusammengenommen ergeben ein stimmiges Gesamtbild, es lebt und atmet, wird greifbar. Das ist oft nicht richtig messbar, sondern, wie gesagt, nur unterschwellig wahrnehmbar. Aber es ist ein wichtiger Faktor. Tolkien hat bekanntlich für den Herrn der Ringe ähnliches getan: eine komplette Sprache entwickelt und eine gesamte Historie für seine Kreaturen und seine Welt entworfen. Die er in Form von zusätzlichen Wälzern wie dem Silmarillion herausgebracht hat. Das steht bei mir zu Hause im Regal und ist schön langweilig. Aber im Hauptwerk des Hobbit und dem Herrn der Ringe sorgen dieser Unterbau für eine perfekte Kulisse.
Womöglich wird FC Primal auf längere Sicht an Reiz verlieren, wenn nicht noch kleine, gute Geschichten in der großen Menschheitsgeschichte auftauchen. Aber vielleicht treffe ich noch interessante Charaktere? Also, mal abgesehen vom zugedröhnten Schamanen? Ich weiß es nicht, aber im Moment macht die Welt alleine sehr viel Spaß.
Quellen: Ubisoft, das Netz wie verlinkt & mein Kopf.
Pingback:IM1527: Far Cry Primal - Insert Moin | Insert Moin