Wie macht man eine lustige und erfolgreiche Sitcom? Fragen wir doch mal nach. Und zwar bei Jeff Greenstein, der zufällig gerade in Deutschland weilte und beim ZDF vorbeischaute. Jeff Greenstein ist Autor, Produzent und Regisseur und gute drei Jahrzehnte im Geschäft. Mit Friends, Will & Grace oder Desperate Housewives sind wohl die bekanntesten Produktionen, für die er als Autor schrieb.
Wie steht’s eigentlich um die Sitcom?
Jeff Greenstein ist ein langer Schlacks, geschätzt Anfang 50, der klug argumentiert und humorvoll erzählt. Man kann ihn sich gut inmitten eines Autoren-Team vorstellen, das auf kurze, witzige Storylines fokussiert ist. Erst mal erzählt er uns etwas über die Situation der US-Sitcoms und die ist aktuell gar nicht mal so dufte. Die Hochzeit der koventionellen Situationskommödien sei eher vorbei, sagt Jeff Greenstein. Sie sind wohl ein bisschen aus der Mode gekommen. Der Trend geht eher zu aufwendigeren, komplexer erzählten Serien, wie sie Desperate Housewives (bis 2012) darstellt. Oder formal anders erzählten Serien, wie Modern Family, das im Stil einer Mockumentary erzählt wird. Letzteres übrigens ein Beispiel, wo Greenstein nicht im Boot ist. Unter den langjährig erfolgreiche Sitcoms alter Prägung sind vor allem Shows von Produzent Chuck Lorre zu nennen: Er produziert Mike & Molly, Big Bang Theory, Mom und Two and a Half Man.
Kleiner Einschub zur Erklärung: Man unterscheidet zwischen multi camera und single camera Shows. Das ist sowohl eine stilistische, als auch eine finanzielle/produktionelle Entscheidung. Single Camera ist fast ausnahmslos erste Wahl für Filme und für Serien, die einen filmischen Look wollen, bestimmte Perspektiven brauchen und häufig visuelle Effekte einsetzen. Dazu wird mit einer Kamera gedreht, weil man damit feiner arbeiten kann: Jede Szene wird aus verschiedenen Perspektiven mehrfach gedreht, das Licht entsprechend immer neu eingerichtet. Das ist aufwendig, sieht aber hinterher auch entsprechend aus. Chuck Lorre-Produktionen dagegen sind hauptsächlich Multi-Camera Shows. Dabei werden mehrere feste Kameras eingesetzt. Es ist deutlich billiger, weil man weniger Produktionszeit benötigt, wenn alle benötigten Perspektiven parallel gedreht werden. Da Big Bang Theory auch noch vor Live-Publikum aufgezeichnet wird, ist gar nichts anderes als Multi-Camera möglich. Generell wird diese Produktionsweise für klassische Dialog-getriebene Sitcoms eingesetzt.
Der Pitch oder: Die Geburt einer neuen Show
Aus Greensteins Erfahrung heraus ist es zwar immer am leichtesten, Konzepte zu pitchen, die auf einer bereits erprobten Marke basieren: auf einem Film, einem Buch, einem Comic oder bereits erfolgreich in anderen Ländern. Das war und ist für Sender und Networks sehr verlockend, bietet es doch scheinbar Sicherheit. Risiken eingehen ist ja gemeinhin nicht populär. Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regeln, auch wenn die Zeit für riskante Serie derzeit offenbar mehr als gut ist. Eine der am meisten zitierten Ausnahmen ist Breaking Bad: Die Macher wussten um das Risiko, bzw. nahmen einen Misserfolg sogar billigend in Kauf. Ich darf hier ausnahmsweise mal auf mich selbst verweisen und zwar auf diesen Post, in dem Bryan Cranston genau dazu zitiert wird. The Office ist dagegen eine Serie, die für verschiedene Länder jeweils neu interpretiert wurde – nachdem sie im englischen Original erfolgreich war. Bei uns wurde daraus Stromberg – das ich im Übrigen dank sehr guter Besetzung nicht schlecht fand, bekanntes Format hin oder her.
Als Kreativer plädiert Greenstein natürlich nicht dafür, sich primär von solchen Gedanken inspirieren zu lassen. Er plädiert für Ideen, die nicht schon mal da waren bzw. auf einem anderen Format basieren. Es ist auch eine Frage davon, wie man ein Thema beschreibt und erfolgreich pitcht. Friends beispielsweise war im Grunde ein „one-line-pitch“. Es geht um die Zeit im Leben, in der junge Leute nicht mehr bei ihrer Familie leben, noch keine eigene gegründet haben und der Freundeskreis zur neuen Familie wird. So beschreibt Greenstein das Setting. Sechs unterschiedliche, etwa gleichaltrige Charaktere finden sich in der emotional schwierigen Phase von Loslösung und Suche nach neuer Bindung. Bestimmt und vorangetrieben wird die Handlung von unterschiedlichen Konflikten – eine Grundeigenschaft der meisten Sitcoms. Ansonsten findet Greenstein vor allem das interessant, was er als „unentdecktes Terrain“, bezeichnet. So entstand auch Desperate Housewifes. Die emotionalen Konflikte von Kleinstadt-Hausfrauen waren solch unentdecktes Terrain. Als aktuelles Beispiel nennt Greenstein die Serie Empire. Empire ist die erste (!) Primetime-Serie, die sich mit dem Leben von amerikanischen Schwarzen beschäftigt. Und zwar hauptsächlich und in allen Facetten – nicht in Nebenrollen als Crack-Junkie oder sich gegenseitig aus fahrenden SUVs abknallende Gang-Mitglieder, wie Greenstein betont. Als weißem Mitteleuropäer fällt es einem vielleicht nicht auf, aber man sieht in der Primetime primär weiße Serien und weiße Hauptrollen. Lange Zeit galt es im US-Fernsehen als riskant, mehr als eine Serie mit einer schwarzen Familie on air zu bringen. Empire ist natürlich keine Sitcom – der Vergleich bezieht sich rein auf die Wahl eines Thema. Greenstein empfiehlt Autoren, sich gezielt nach solchen unerzählten Bereichen umzusehen. Bei Breaking Bad war es die Idee, das Schema umzudrehen: Ein Guter wird Böse, wird zum Antagonisten. Das ganze wird sehr sorgfältig angelegt und auf einer erzählerisch recht langen flachen Rampe zum Abheben gebracht. Damit meine ich, dass das Pulver eben nicht im Pilot oder spätestens in Episode 3 gezündet wird, sondern Zuschauer regelrecht mit frustrierenden Bildern mürbe gemacht werden. Erst mit der 7. Folge der 1. Staffel macht es dann BAM! So lange nimmt sich die Serie Zeit, den Boden zu bereiten: Man kreiert Fallhöhe für spektakuläre Schockmomente.
Der persönliche Hintergrund der Autoren im Team sei sehr wichtig, erzählte Jeff Greenstein. Eine persönliche Erfahrung mit der porträtierten Lebenswelt hilft beim Erzählen der Geschichte(n). Bei Will & Grace gab es zwei Autoren, die Grundzüge der beiden Haupt-Charaktere verkörperten. Man möchte zwar gerne glauben, dass die menschliche Fantasie keine Grenzen habe, so Greenstein, aber es helfe dem Storytelling ungemein, wenn persönliche Erfahrungen einfließen könnten. Ich will das an dieser Stelle nicht auswalzen, aber eine erkleckliche Anzahl an lustigen Erlebnissen bei Friends beruhen auf wahren Erlebnissen der Autoren.
Extrem wichtig für das Entwerfen eines Konzeptes sei es, nicht nur Folge 1 hübsch beschreiben zu können. Seine Erfahrung zeige aber, dass das sehr häufig passiere – auch wenn sich vielleicht viele Autoren dessen nicht bewusst sind. Greenstein liest viele Konzepte, wo für ihn bei Folge 3 schon die Luft raus ist. Kennt Episode 10, rät Greenstein dringlichst. Eine der am häufigsten verwendeten Beschreibungstexte für Serien-Inhalte enthalte ein „…moves back in.“ In allen erdenklichen Varianten zieht irgendwo irgendwer wieder ein und verursacht maximales Chaos. Das zieht die Frau nach der Scheidung wieder zu den Eltern oder der ältere Vater aus dem zu teuer gewordenen Heim zurück zur jungen Familie des Sohnes – das lässt sich beliebig fortsetzen. Milde lächelnd sagt Greenstein dazu: Das, meine Damen und Herren, ist gerade mal Episode 1.
Wichtig sei auch, die Story an den Schauspieler zu heften, nicht umgekehrt. Hat man als Autor eine Figur entworfen, hat man natürlich eine Vorstellung davon. Kommt schlussendlich ein Schauspieler aus Fleisch und Blut ans Set, verändert sich die Rolle. Das müsse man annehmen und vor allem, darauf reagieren. Bei Friends war es die Chemie zwischen den Schauspielern Jennifer Anniston (Rachel) und David Schwimmer (Ross), die die Autoren dazu brachte, diese beiden immer wieder zusammenzubringen.
Und noch etwas anderes sei wichtig, wenn man Charaktere entwickle: „Auch extreme Charaktere dürfen ihre Menschlichkeit nicht verlieren„, betont Jeff Greenstein. Die Hauptfigur aus der 70er-US-Serie All In The Family, Archie Bunker, ist so eine Figur: verschroben, bigott, sexistisch, rassistisch. Das diese Figur nicht zu eine Karikatur, nicht völlig hassenswert wird, liegt daran, dass unter all diesen negativen Eigenschaften eine tragische Figur erkennbar bleibt, die auch Zuneigung zeigen kann. Der Serien-Schöpfer Norman Lear wird übrigens (im verlinkten Wikipedia-Artikel) zitiert, dass sein Vater seine Mutter genauso behandelt habe, die Archie Bunker seine Frau Edith. Womit wir wieder bei der erwähnten persönlichen Erfahrung wären. Etwas, das sicher generell unbewusst in Storytelling einfließt, aber Greenstein beschreibt das als einen Prozess, den man bewusst abrufen sollte, wenn man Geschichten entwickelt. Bei Will & Grace war Greenstein nicht von Beginn an dabei. Als er dazu kam, bestand die Herausforderung darin, den Figuren mehr Kontur zu geben. Man wollte mehr emotionale Konflikte, etwas, worum die Charaktere sich ernsthaft sorgten, um sie menschlich greifbarer zu machen. Um das zu erreichen hilft es für die Entwicklung und das Storytelling sehr, wenn Autoren mit ähnlichen Erfahrungen und Wissen um Konflikt-Potential an Bord kämen, so Greenstein.
Der Produktions-Prozess
Beim Entwickeln der Story helfe es oft, auf den Kalender zu gucken. Wann wird die zu schreibende Folge ausgestrahlt? Bei einem national bedeutenden Feiertag wie dem amerikanischen Thanksgiving kann man beispielsweise von einer gewissen Stimmung ausgehen. Feiertage, wo die ganze Familie zusammenkommt, bergen ein gewisses Konflikt-Potential, was vermutlich jeder leidvoll bestätigen wird. In der entsprechenden Folge von Friends wollen eigentlich alle sechs Protagonisten auch zu ihren Familien – und sehen alle Pläne vereitelt. Alle stolpern in aberwitzige Situationen, die dazu führen, das sie bleiben müssen, wo sie sind. Eine Protagonistin (Monica) versucht, die Situation zu retten, doch das führt zu noch mehr Drama und am Ende bringt es alle Freunde – ohne ihre Familien – an einen Tisch. Das klingt simpel und aus heutiger Sicht ist Friends natürlich nicht wahnsinnig sophisticated. Aber wir reden von einer Serie aus den 80ern. Desperate Housewifes ist 20 Jahre später natürlich schon sehr viel komplexer.
Ich persönlich konnte mir nur ganz schwer vorstellen, wie es ist, eine Geschichte gemeinsam zu schreiben. Für mich ist das ein eher einsamer Prozess. Eine Geschichte könnte ich immer nur alleine schreiben. Natürlich würde ich sie jemanden vorlegen und auch Änderungsvorschläge dankbar aufnehmen, aber das umschreiben kann ich mir dann wieder nur als etwas vorstellen, was ich konzentriert und relativ abgeschottet alleine machen muss. Einen Raum voller Autoren kann ich mir, so wie ich arbeite, nur sehr schwer vorstellen. Tatsächlich erzählen Sitcoms natürlich nicht nur EINE Geschichte. Im Beispiel Friends lief es so, das Greenstein mit seinem Team Anfang eines Jahres immer eine Art Map für die gesamte Staffel skizzierte. Für die einzelnen Folgen brauchte es dann noch jeweils 3-4 Storylines. Zu beachten war, dass alle Geschichten etwa die gleiche Zeitspanne hatten, also nicht völlig auseinander liefen. Für jede neue Folge setzte man sich zusammen und diskutierte Ideen. Dafür sah man sich an, was von der vorangegangenen Folge als Handlungsstrang übrig war. Wie erwähnt sind klassische Sitcoms von Konflikten getrieben und von Dialogen bestimmt. Die Entwicklung einer Episode beginnt also oft mit einer einzelnen Szene bzw. Konflikt.
Anhand von Will & Grace erzählte Greenstein, wie man sich dann voran arbeitet. Zunächst gab es mal eine Szene, die jemand in die Runde warf: Grace könne in einer extrem peinlichen Szene enden, in der ihr Water-Bra platzt. Für alle (wie mich), die mit dieser BH-Gattung nicht vertraut sind: es handelt sich um eine spezielle Form des PushUp-BHs, der mit einem Wasser-Öl-Gemisch gefüllt ist und so „ganz natürlich“ die Brüste größer wirken lässt. Kleine Anmerkung: Das hat Greenstein erzählt, ich schreibe das hier nicht aus SEO-Gründen (na gut, bei der Gelegenheit habe ich mal das passende Schlagwort gesetzt;-))! Jedenfalls stand diese Szene am Anfang, weil jemand aus dem Autorenteam irgendwo darüber gestolpert war und sie in den Ring warf. Damit hat man aber noch keine Story bzw. Storyline. Also berät die Runde: warum gerät Grace in diese Situation, will sie jemanden beeindrucken, wenn ja, wen und wo kommt der her? Vieles entsteht aus einer what, if…-Diskussion. Diese Autoren-Besprechungen werden protokolliert und daraus entsteht zunächst ein Dokument mit losen Outlines, die nach und nach auf Szenen und Personen aufgeteilt werden und später zu einem Drehbuch werden. Es passiert also ziemlich viel verbal, bevor das jemand dann zu Papier bringt bzw. heutzutage in den Rechner hackt. Will & Grace hat nur eine A- und B-Story, weil natürlich weniger Personal als Friends. Das macht es auch ein bisschen überschaubarer. Am Ende entscheidet der Chef des Writer’s Room, welche Story-Ideen verwirklicht werden und wie das final endet. Auch hier hat Jeff Greenstein einen weisen Rat (der sicher nicht immer befolgt wird): Idealerweise ist das die Person, die die richtigen Fragen stellt. Also nicht derjenige, der auf alles eine Antwort hat… Das lasse ich mal so stehen 😉
Nobody was begging for Breaking Bad!
Noch ein kleiner Einschub (wir sind noch immer beim Produktionsprozess): Natürlich nimmt Medienforschung einen gewissen Einfluss auf das Storytelling. Bekanntlich versuchen alle Sender, herauszufinden, was ihre Zuschauer gerne sehen wollen. Besonders gut kriegt das Netflix hin, die dafür einfach radikal jeden Schritt ihrer Zuschauer auf ihrer Plattform nachvollziehen und auswerten. Klassisch versucht man so etwas über Zuschauer-Befragungen herauszufinden. Man sammelt eine ausreichend große Anzahl Menschen, nach bestimmten Kriterien ausgesucht, und setzt ihnen Beispiele vor. Was gefällt, was nicht, was würden Zuschauer lieber anders sehen und warum? Dafür gibt es ganz unterschiedliche Methoden, das herauszufinden, beispielsweise Diskussionsrunden. Welche Methode auch immer, Zielgruppenforschung habe ihren Wert, so Greenstein. Allerdings warnte er davor, sie zur alleinigen Basis für Entscheidungen zu nehmen. Nach einer derart schwierigen Serie wie Breaking Bad hat wie gesagt auch niemand explizit verlangt. Und Friends bekam auch nicht die allerbesten Noten in Test Screenings. Auf einer Bewertungsskala von 0 – 100 Skala sind Sender schon mit einer 85 nicht wirklich zufrieden. Erwünscht sind Ergebnisse im 90er-Bereich. Friends, das heute als einer der größten Comedy-Hits aller Zeiten gilt, bekam lediglich eine 42. Sie Serie sei zu schnell und habe ein verwirrend großes Ensemble, so zwei Kritikpunkte. Und: Das Publikum hasste Joey. Was man von all dieser Kritik mitgenommen habe? Ganz einfach, so Greenstein: Die Leute hassten Joey!
Tempo und Ensemble haben die Macher nicht verändert, weil sie glaubten, hier richtig zu liegen. Aber wenn einer von sechs Protagonisten so schlecht ankommt, müsse man sich schon fragen, ob man da alles richtig gemacht habe, so Greenstein. Das sei durchaus manchmal bitter für Autoren, die denken, sie hätten gerade sechs wunderbare Charaktere kreiert und dann sagen die Zuschauer, der eine davon ist furchtbar. Aber dann müsse man als Autor eben eine Möglichkeit finden, wie dieser Charakter interessanter wird. Kurz: Es ist extrem wichtig, die Ergebnisse solcher Studien differenziert auszuwerten. Offenbar haben die Macher bei Friends da viel richtig gemacht, denn die Serie heimste allein 62 Nominierungen für Primetime Emmy Awards ein. Greenstein erzählt auch, er habe es generell gehasst, bei solchen Research Tests als Autor dabei zu sein: es sei für ihn immer gewesen, wie bei einer Operation am offenen Herzen auf dem Monitor zuzusehen.
Multi camera vs single camera… Unterschiede, stilistische Elemente und ihre Wichtigkeit
Single camera half hours are the single hardest form to do well! Period.
Jeff Greenstein
Die Unterschiede und warum wann was verwendet wird, habe ich im 2. Absatz schon erklärt. Warum die Single-Cameras-Halbstünder so schwer sind, erklärt Greenstein so: Wenn Protagonisten ein bisschen zu sehr darauf aus sind, Punchlines abzuliefern, fühlt sich das für Zuschauer schnell etwas albern an. Denn niemand redet sonst so, es entsteht so ein bisschen der „uncanny valley„-Effekt. Anders jedoch in einer Multi-Camera Show: Dort funktioniert es, weil sie wie ein Theaterstück inszeniert wird, wo sozusagen das leichte over-acting Stilmittel ist.
Was hier beschrieben wird, ist etwas, was sich Zuschauern nur unterschwellig vermittelt (und unglaublich schwer zu erklären ist). Tatsächlich versteht man es, wenn man sich noch mal Big Bang Theory vor Augen hält: die Charaktere stellen ein Ensemble dar, von denen jeder einzelne gleich wichtig ist und sie liefern eine Punchline nach der anderen. Eine Show, die vor allem Dialog- und Konflikt-getrieben ist und von einem Ensemble getragen wird, kommt praktisch ohne extrem schnelle Schnitte, andauernde Perspektivwechsel und schnell wechselnde Einstellungsgrößen aus. Die Notwendigkeit für viele Nahaufnahmen entfällt damit praktisch. Beispielsweise im Labor von Leonard, wenn er irgendetwas Kleinteiliges macht. Anders natürlich als in Breaking Bad, wo winzigste Details, einzelne Bläschen von blubbernden chemische Behältern oder eine winzige Fliege im Labor in Nahaufnahme zu sehen sind. Bei Big Bang Theory sind Nahaufnahmen in dieser Form schlicht nicht kriegsentscheidend, denn im Vordergrund stehen schnelle Dialoge. Eben wie in einer Bühnenkomödie im Theater: da sieht man ja immer nur das Ensemble auf der Bühne, oder die jeweils handelnde Person im Set in der Totale. Sicher sieht die geschnittene Fassung von Big Bang Theory leicht anders aus, als es die Zuschauer sehen, aber nicht wesentlich. Sonst würde das ganze Konstrukt nicht funktionieren. In einer Bühnenkomödie oder Multi-Camera-Fernsehshow sind Charaktere entsprechend immer etwas cartoonhaft überzeichnet, um zu funktionieren.
Versucht man eine Sitcom filmisch wie eine Drama-Serie zu inszenieren, nimmt man leicht das Tempo aus den Dialogen, Punchlines gehen verloren und damit auch alle Züge einer Komödie. Greenstein sagt nicht, dass das unmöglich ist, aber es ist sehr, sehr hart.
Um mal wieder eine etwas aktuellere Multi-Camera Show zu erwähnen: Modern Family hat hohes Tempo und eher kurze Szenen, aber vor allem bezieht es seine komischen Elemente aus der Form. Die besteht darin, dass die Protagonisten im Stile einer Mockumentary direkt in die Kamera sprechen, als säße da ein Interviewer. In ihrem Statement stellen die Figuren dann häufig irgendeinen Sachverhalt rückblickend in ihrem Sinne da und in einem harten Schnitt sehen wir die Szene, in der er oder sie exakt das Gegenteil tut. The Office macht das, 30 Rock, aber sogar die Drama-Serie House of Cards benutzt dieses Stilmittel. Und zwar dann, wenn es komisch wird. Kleiner, aber erwähnenswerter Unterschied: House of Cards ist kein Mockumentary und Kevin Spacey spricht sichtbar nicht zu einem Interviewer. Der von Spacey verkörperte Politiker Frank Underwood spricht zum Zuschauer selbst und durchbricht damit die vierte Wand. Der Effekt ist aber derselbe. Man gewinnt also komödiantische Elemente auch über die Form des Erzählers, nicht nur über gut geschriebene Dialoge voller Punchlines.
Multi Camera ist hat noch einen anderen, schon eingangs erwähnten Vorteil: es ist schlicht einfacher. Greenstein fasst das Schnittmuster so zusammen: Man hat eine A- und eine B-Story und 8 bis 12 Szenen. Es gibt etwas längere Szenen, ein Konflikt wird entworfen, eine emotionale Szene geschrieben, jemand tritt auf, etwas stimmt nicht, das Ding nimmt seinen Lauf. Es sei sehr viel leichter, dafür Storys zu entwerfen.
Spezialfall Hausfrauen
Desperate Housewives nennt Grenzstein dagegen eine Art Sonderfall, weit komplizierter in der Entstehung. Auch dafür setzten sich die Autoren Anfang des Jahres zusammen und zwar vor ein Whiteboard. auf dieses skizzierte das Team das gesamte Jahr, 24 Episoden. Man behandelte dabei ein Jahr als einen 3-Akter – und zwar für jeden einzelnen Protagonisten. Wichtigster Punkt: Was ist das (zu enthüllende) Geheimnis? Jemand zieht neu in die Wisteria Lane und hat, natürlich, ein dunkles Geheimnis, dessen Enthüllung die Protagonisten durch wahnwitzige Aktionen zu verhindern suchen, die dann immer mehr Verwicklungen nach sich ziehen.
Also, erstens: Geheimnis entwerfen. Zweitens: Skizzieren der Ereignisse mittels Karten. Ans Bord geklebt erklärten die Karten jeweils Beginn, Anfang und Ende dieses Geheimnisses, wie eine Roadmap, und das für jeden einzelnen Protagonisten (SPOILER AHEAD):
Mit was beschäftigt sich Gabby zu Anfang?
Sie fürchtet, schwanger zu sein und ist dann zunächst erleichtert, als sich das nicht bewahrheitet.
Mitte des Jahres: Gabi merkt, sie sehnt sich nach einem Kind und denkt über Adoption nach.
Ende des Jahres: Sie adoptiert gleich zwei Babies.
Dann füllt man die Stellen dazwischen. Jede Episode hat zudem sowohl komische als auch dramatische Elemente. Grundsätzlich merkte Greenstein an, dass natürlich auch Komödien dramatische Elemente enthielten und umgekehrt. Das braucht es alleine schon für eine gewisse Abwechslung und auch Fallhöhe. Unterschiedlich ist aber jeweils die Gewichtung. Greensteins Beispiel ist Westwing – für ihn eine der witzigen US-Serien überhaupt, obwohl eigentlich eine Drama-Serie.
Das klingt natürlich weit einfacher, als es tatsächlich war. Der Plan blieb selten genau so, wie er zu Beginn des Jahres entworfen wurde. So hatte das Team mal das Gefühl, dass die zunächst entworfene Story nicht zu dem Schauspieler passte und man passte sie an: der Fiesling wurde zum Guten. Da die Fiesling-Storyline aber nicht entfallen sollte, wurde sie auf einen anderen Protagonisten übertragen. Dazu musste man dann wiederum diverse, wenn nicht alle, Storylines anpassen. Reverse Engineering, nennt Greenstein das. Oder man merkte, dass eine Storyline in 4 Episoden auserwählt war, statt in 10, wie geplant.
Es gab für Desperate Housewives einen sehr großen Pool an Autoren, nämlich 16 insgesamt. Davon eine kleine Gruppe von 5 Autoren, die das Ganze als zentrale Autoren leiteten – Grenzstein erzählt, er habe diese Autoren-Runde gerne Cloud City genannt. Jede Episode hatte 5 Storys: Eine für jede der 4 Protagonistinnen und eine, die sich um das zentrale Geheimnis drehte. Jede Story wurde auf 5 Szenen umgelegt, notiert auf 5 Index-Karten. 2-3 Autoren kümmerten sich um eine Story. Beispielsweise die Lynette-Story: zusammen mit den leitenden Autoren skizzierten die drei die Story für diese eine Protagonistin und dampften dann ab, um sich um dieses eine Stück der Episode zu kümmern. Die 16 Autoren waren also in kleinen Gruppen mit jeweils einer der fünf Storys beschäftigt, aus der sich dann später die Episode zusammensetzte. Dass das dann nicht wie ein irrer Flickenteppich wirkt, ist der Verdienst der zentralen Autoren, die nach beim Zusammensetzen der Stücke hier und da umschrieben, schliffen und neu schrieben, bis sich eine runde Gesamt-Episode ergab.
Die eher ungewöhnliche Entstehungsweise von Desperate Housewives erklärt Jeff Greenstein unter anderem mit der außergewöhnlichen Dichte der Story. Und mit den komödiantischen Elemente in einer Serie, die tendenziell mehr Drama war. Dafür brauchte es einfach mehr Autoren. Das Überarbeiten in einer Gruppe ist sonst eher ungewöhnlich. Tatsächlich schreiben Autoren durchaus alleine an einer Storyline, reichen den Entwurf ein und bekommen den mit Anmerkungen vom Show Runner zurück, welche Teile wie zu überarbeiten sind. Dann gibt es einen weiteren Entwurf, bis alle zufrieden sind.
Grundsätzlich hängt der ganze Prozess natürlich auch an der Komplexität der Erzählweise. Friends hat eine 3-Akter-Struktur, das ist einigermaßen übersichtlich. Eine Desperate Housewives-Episode dagegen bestand aus 6 Akten, ging über 60 Minuten und endete dazu noch mit einem Teaser nach den Credits, für die nächste Episode.
So. Wie um Himmels willen komme ich nun aus diesem Blogpost-Brocken mit einem ebenso fluffigen wie auf den Punkt gebrachten Fazit raus? Nicht so richtig, aber einige wichtige Punkte kann ich zusammenfassen. Dazu kommen wir auf die Eingangsfrage zurück:
Wie schreibe ich eine erfolgreiche Sitcom?
- Ihr braucht eine Idee, die nicht schon mal da war. Tipp: Sucht unentdecktes, unerzähltes Terrain. Eine schwarze Hip-Hop-Dynastie (Empire), die Geheimnisse von Kleinstadt-Hausfrauen (Desperate Housewifes), eine bestimmte Lebensphase, die nicht wie die Pubertät schon oft erzählt wurde (Friends) oder dreht das Gut/Böse- Schema mal um (Breaking Bad).
- Könnt ihr das in einer Zeile aussagekräftig zusammenfassen? Macht das irgendwen neugierig? Gut!
- Kennt Episode 10! Sonst geht euch nach 3 Episoden die Luft aus und ihr merkt es nicht früh genug.
- Ihr habt erfolgreich gepitcht und es geht schon rund? Toll. Nun vergesst nicht, die Story an die Schauspieler zu heften, nicht umgekehrt!
- Auch extreme Charaktere dürfen ihre Menschlichkeit nicht verlieren, sonst werden sie zu Karikaturen.
- Guckt in den Kalender: Wann wird die zu schreibende Episode ausgestrahlt? Weihnachten? Sommerferien? Welche Stimmung herrscht dann, kann man da etwas aufgreifen?
- Die Ergebnisse der Medienforschung sind da. Wait, what? Lasst euch nicht irritieren, betrachtet die einzelnen Punkte differenziert.
- Die Form ist ebenso wichtig, wie der Inhalt. Witzige Dialoge alleine machen noch keine gute Sitcom.
- Je komplexer erzählt wird, desto schwieriger. Weniger ist mehr.
Also dann! Viel Glück. Und großen Dank an Jeff Greenstein, der mir erlaubt hat, einige Nähkästchen-Geschichten öffentlich zu machen. Ich gucke mal eben The Walking Dead weiter.
Das war mal wirklich spannend, vollständig und gut strukturiert. Ich hab selten das Bedürfnis, Blogartikel auszudrucken und abzuheften. Schön, wenn Leute wissen, was sie tun und das auch noch aussprechen können. Wobei die reibungslose Professioalität, mit der dort Schreiberei betrieben wird, auch ein bisschen den Atem rauben kann.
Danke fürs Feedback. Super-harmonisch und effizient war das im Writer’s Room wohl nicht immer. Greenstein erzählte da auch durchaus Geschichten, wo lange und erbittert diskutiert wurde. Am Ende entscheidets halt einer und gelegentlich war Greenstein auch mal unglücklich mit der Entscheidung 😉